Intellektuelle gegen Kaczyński

Exminister Geremek weigert sich, erneut zu bezeugen, dass er nicht bei der Stasi war

WARSCHAU taz ■ Polens liberale Elite hat es satt. Die „Klugscheißer, Pseudointellektuellen, Verräter und Spitzel“, wie sie von vielen Abgeordneten der rechten Regierungsparteien verhöhnt werden, stehen seit über einem Monat unter Generalverdacht. 700.000 Wissenschaftler, Journalisten, Juristen, Lehrer und Politiker sollen ein Kreuzchen hinter dem Satz machen: „Ich war Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes – Ja oder Nein“. Wer eine falsche oder gar keine Erklärung abgibt, soll fristlos entlassen werden und die nächsten zehn Jahre nur noch im Privatsektor arbeiten dürfen. Für Wissenschaftler käme dies einem Berufsverbot gleich.

„Ich weigere mich!“, regt sich nicht nur Polens früherer Außenminister Bronislaw Geremek auf. „Ich werde nicht noch einmal unterschreiben, dass ich kein Stasispitzel war!“ Auch Tadeusz Mazowiecki, der von 1989 bis 1990 Polens erster demokratisch gewählter Premier nach 45 Jahren Kommunismus war, sagt heute entschieden: „Nein!“ Er werde die Erklärung nicht unterschreiben. „Ich habe schon dreimal als aktiver Politiker erklärt, dass ich kein Mitarbeiter des kommunistischen Sicherheitsdienstes war. Das muss reichen!“ Jede Forderung nach einer weiteren Stasi-Erklärung empfinde er als moralische Erniedrigung. Zudem unterliege er gar nicht dem neuen Gesetz, da er zwar über die Vergabe des höchsten polnischen Staatsordens mitentscheide, dies aber ein Ehrenamt sei.

Welche Konsequenzen der zivile Ungehorsam für tausende von polnischen Intellektuellen haben wird, ist noch nicht abzusehen. Denn das hoch umstrittene Lustrations- oder Durchleuchtungsgesetz liegt dem polnischen Verfassungsgericht zur Prüfung vor.

Da die nationalkonservative Regierung unter Jaroslaw Kaczyński schon mehrfach schwere Schlappen vor dem Verfassungsgericht hinnehmen musste, setzt sie nun alles daran, noch vor dem Urteil vollendete Tatsachen zu schaffen. Im Falle Geremeks sind die geplanten Maßnahmen besonders drastisch. Der international angesehene Historiker und Politiker soll zur Strafe für den zivilen Ungehorsam sein Mandat als Abgeordneter im Europäischen Parlament verlieren.

Dass sich dann allerdings fast das gesamte EU-Parlament hinter Geremek stellen würde, hatte weder Polens Regierung noch Staatspräsident Lech Kaczyński erwartet. In der Diskussion empörte sich der europäische Grünen-Chef Daniel Cohn-Bendit: „Das ist ein Skandal! Das ist so, als wollte man einem Juden und KZ-Häftling befehlen, eine Erklärung abzugeben, dass er nicht mit den Nazis kollaboriert habe.“ Hans Gert Pöttering, der EU-Parlamentspräsident, versicherte nach der stürmischen Diskussion: „Wir geben Geremek unsere ganze Unterstützung, damit er sein Mandat weiter ausüben kann“. Ob die polnische Regierung Geremek sein EU-Mandat entziehen kann, ist rechtlich umstritten. Geremek ist überzeugt, dass er nur seinen Wählern gegenüber verantwortlich ist. Vor drei Jahren hatte er als EP-Kandidat bereits eine sogenannte Lustrationserklärung abgegeben. Sie war geprüft und nicht beanstandet worden. GABRIELE LESSER