Hansdampf der Menschenrechte

Bis zum letzten Moment wollte sich Anwar al-Bunni verteidigen – er, der sein Leben lang für die Rechte anderer gekämpft hatte und nun selbst als Angeklagter in dem vergitterten Raum des Gerichtssaals stand. Doch der Vorsitzende Richter des Obersten Strafgerichts in Damaskus schnitt ihm das Wort ab und verkündete das Urteil. Fünf Jahre Haft bekam al-Bunni für die „Verbreitung falscher Informationen“. Er hatte einen Bericht über Folter in syrischen Gefängnissen veröffentlicht. Und 100.000 syrische Pfund (1.500 Euro) Bußgeld muss er an das Ministerium für Arbeit und Soziales bezahlen, weil er ohne Genehmigung ein von der Europäischen Union finanziertes Menschenrechtszentrum eröffnet hatte.

Der Rechtsanwalt reagierte gefasst. Ein letztes Mal grüßte er Freunde, Mitstreiter und Diplomaten, die den Prozess über Monate verfolgt hatten, wohl wissend, dass er sie vorerst nicht wiedersehen wird. Dann wurde er abgeführt – winkend, Hände schüttelnd, mit erhobenem Haupt.

Der 47-jährige Anwar al-Bunni, Vater von drei Kindern, versorgte ausländische Medien und Botschaften regelmäßig mit Informationen zu politischen Prozessen, er traf sich mit westlichen, auch amerikanischen Politikern und Diplomaten. Dabei wurde er nicht müde, die Menschenrechtsverletzungen des Regimes anzuprangern und die Aufhebung des seit 44 Jahren geltenden Ausnahmezustands zu fordern, seiner Ansicht nach der Ursprung juristischer Willkür in Syrien. So entwickelte sich der schmächtige Mann mit dem Schnurbart, den fröhlichen Augen und dem breiten Lachen zum Hansdampf der syrischen Menschenrechtsszene – rastlos, rebellisch, stets auf dem Sprung.

Der kämpferische Geist liegt in der Familie: Drei Brüder und eine Schwester des Anwalts saßen jahrelang wegen politischer Aktivitäten im Gefängnis, insgesamt kommt die Familie al-Bunni auf 42 Jahre Haft. Das heutige Urteil löste bei Verwandten und Regimekritikern Empörung und Wut aus. Al-Bunnis Frau standen Tränen in den Augen. Sie hatte wie die meisten Beobachter mit drei Jahren Gefängnis gerechnet, dem üblichen Strafmaß für den Vorwurf der Verbreitung falscher Informationen. Akram al-Bunni, der ältere Bruder des Verurteilten, bezeichnete das Urteil als Botschaft an die Opposition, die noch zu verurteilenden politischen Gefangenen und die internationale Gemeinschaft. „Sie wollen uns einschüchtern und zeigen, dass sie sich durch nichts beeindrucken lassen“, so der ehemalige Häftling, „nicht durch Kontakte nach Europa, nicht durch Diplomaten im Gerichtssaal und nicht durch Druck aus dem Westen.“ KRISTIN HELBERG