„Medien allein bewirken nichts“

Zum 20. European Media Art Festival, das morgen in Osnabrück beginnt, werden viele tausend Besucher erwartet. Die Filmemacherin und Professorin Birgit Hein reist nach Osnabrück, um mit einer Filmauswahl auf die Entwicklung der Medienkunst in den vergangenen Jahrzehnten zurückzublicken

BIRGIT HEIN, 64, ist Filmemacherin und Filmwissenschaftlerin. Seit 1990 ist sie Professorin an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.

INTERVIEW: THORSTEN STEGEMANN

taz: Frau Hein, welchen Stellenwert hat das European Media Art Festival in der internationalen Medienkunst?

Birgit Hein: Das EMAF ist sicherlich das wichtigste europäische Festival dieser Art. Das ist übrigens nicht nur meine Meinung, sondern auch die vieler Kolleginnen und Kollegen. Allein die Programmvielfalt dieses Jahres zeigt, wie international das Festival ausgerichtet ist und dass hier wirklich die aktuellsten Arbeiten aus den Bereichen Installation, Objektkunst, Film, Video oder DVD vorgestellt werden.

Sind vom EMAF in den vergangenen Jahren besondere Impulse ausgegangen oder auch Trends begründet worden?

Eine ganze Reihe sogar und das schon, bevor es das Festival in der jetzigen Form gab. Der Osnabrücker Experimentalfilm-Workshop hat diese Kunstform bereits Anfang der 80er Jahre ernstgenommen und propagiert – und zwar nicht unter kommerziellen, sondern unter ästhetischen Gesichtspunkten. Man wollte hier ausdrücklich radikaleren, avantgardistischen Formen des Filmemachens eine Chance geben. Daraus ist eine wichtige Plattform entstanden, auf der die neuesten Trends, aktuelle Themen und technische Neuerungen vorgestellt, diskutiert und weiterentwickelt werden.

Liegt in dem Umstand, dass dieses Festival in einer kleineren Stadt beheimatet ist, eine besondere Chance, oder wäre es in Berlin, Köln oder München doch besser aufgehoben?

Das lässt sich schwer hypothetisch beantworten, aber ich persönlich finde, dass das EMAF richtig platziert ist. Berlin hat im Rahmen der Filmfestspiele nun auch eine Abteilung für Medienkunst, aber in Osnabrück gibt es keine Konkurrenz zum Festival. Außerdem sind die Veranstalter ständig präsent, und das bedeutet: Es gibt einen direkten Austausch zwischen den Produzenten und Künstlern. Ich fahre immer gerne nach Osnabrück, weil ich weiß, dass ich dort Kolleginnen und Kollegen treffe, mit denen ich über bestimmte Themen diskutieren kann. Darüber hinaus bietet das EMAF – etwa durch das internationale Studentenforum – auch dem Nachwuchs die Chance, schnell Kontakte zu knüpfen und erste Erfahrungen zu sammeln.

Sie gehören selbst zu den Pionieren der Medienkunst und waren schon 1968 Mitbegründerin der Experimentalfilm-Vorführung Xscreen. Später sind Ihre Arbeiten auf der Documenta oder bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin gezeigt worden. Welche Entwicklung hat die Medienkunst in dieser Zeit genommen?

Ich habe auf der Documenta 6 die Abteilung Experimentalfilm geleitet, und damals, also 1977, galt das alles noch als absolut exotisch – hat aber auch eine Menge Aufsehen erregt. Anschließend ging das Interesse wieder etwas zurück, und der große Sprung kam eigentlich erst in den 90ern. Heute gehören die bedeutenden Arbeiten ganz selbstverständlich zu den wichtigsten zeitgenössischen Kunstwerken, und deshalb sollten wir allmählich auch auf die begriffliche Unterscheidung verzichten. Ich mag das Wort Medienkunst nicht – wir sagen ja auch nicht Bilderhauerkunst oder Malereikunst.

Inwiefern hat das Internet den künstlerischen Umgang mit medialen Erscheinungsformen verändert?

Das ist überhaupt noch nicht absehbar. Allerdings gehört es zum Wesen dieser Kunst, die sich übrigens vielfach immer noch am Prinzip Film orientiert, in allen Formen moderner Technik das ästhetische Potenzial zu entdecken. Bjørn Melhus beschäftigt sich auf dem EMAF beispielsweise mit dem Phänomen You Tube, mittlerweile wird auch immer öfter mit Handys gearbeitet, und ich selbst habe gerade einen Film mit einer digitalen Fotokamera gedreht. Durch technische Innovationen sind die Spielräume insgesamt erheblich erweitert worden.

Ist mit den Jahren auch die Akzeptanz beim Publikum gestiegen?

Nach dem ersten European Media Art Festival 1988 wurde das ambitionierte Projekt schnell auch außerhalb Osnabrücks und Niedersachsens wahrgenommen. Aus dem Versuch, aktuelle Trends der Medienkunst in Filmvorführungen und Ausstellungen zu präsentieren, hat sich mittlerweile das wohl größte und renommierteste Festival in ganz Europa entwickelt. Zum 20-jährigen Jubiläum präsentiert das EMAF vom 25. bis 29. April 2007 nun rund 250 aktuelle Medienkunstwerke aus aller Welt. Zahlreiche Arbeiten werden erstmals öffentlich vorgestellt. Neben experimentellen Filmen, Videos und Dokumentationen stehen Vorträge, Workshops und ein wissenschaftlicher Kongress auf dem Programm. Im Mittelpunkt der Begleitausstellung „Final Cut“ steht in diesem Jahr die „Traummaschine Kino“. Die Ausstellung zeigt in der Kunsthalle Dominikanerkirche bis zum 20. Mai unter anderem Werke von Paul McCarthy und Alex McQuilkin. TS

Ja, sogar ganz entscheidend. Das liegt vor allem daran, dass Museen, Galerien und Kunstvereine sehr viel ausstellen. Allein der Hamburger Bahnhof in Berlin beherbergt inzwischen eine Riesenabteilung mit Medieninstallationen. Allerdings kommen daneben auch andere Kunstformen zu ihrem Recht. Ende der 90er wurde die Malerei ja schon fast totgesagt, aber seitdem ist eine deutliche Trendwende erfolgt.

Wagen Sie eine Prognose, wie und wohin sich die Medienkunst mittelfristig entwickeln wird?

Zumindest die, dass sich permanent neue Möglichkeiten für immer mehr Menschen eröffnen werden. Die Zeiten, da wir mit teuren 16-Millimeter-Filmen gearbeitet haben, sind lange vorbei. Heute können Ideen viel schneller, kostengünstiger und unabhängig von Institutionen umgesetzt werden.

Ist mit der Demokratisierung der Kunstszene nicht auch ein dramatischer Qualitätsverlust verbunden?

Sagen wir mal so: Vor 20 Jahren gab es eine große Euphorie einer neuen Kunst mit neuen Medien. Doch dann hat sich gezeigt, dass die Medien allein überhaupt nichts bewirken. Es kommt immer nur auf die Künstler an, die mit ihnen umgehen. Insofern sehe ich das gelassen. Natürlich gibt es im Bereich Medien und Kunst viel Mittelmaß, aber auch herausragende Talente, die sich am Ende durchsetzen. Und das war in der Kunstgeschichte doch immer so.