„Bilder über Arme revidieren“

AKTIONSTAGE Armut in der Stadt soll sichtbar werden. Der Paritätische fordert mehr soziale Teilhabe

■ 54, Geschäftsführer des Paritätischen Landesverbandes Hamburg und Sprecher der Nationalen Armutskonferenz.

taz: Herr Speicher, was bedeutet es, in Hamburg arm zu sein?

Joachim Speicher: Die Menschen müssen damit klarkommen, in einer der reichsten Städte Europas zu wohnen, aber am gesellschaftlichen Leben und den kulturellen und sportlichen Angeboten nur bedingt oder gar nicht teilhaben zu können.

Wer ist von den Folgen der Armut besonders betroffen?

Ältere Menschen und Kinder. Das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung ist ein bürokratisches Monster. Familien müssen Anträge stellen, um ein paar Euro für den Fußballverein zu bekommen und sich damit als arm outen. Da wundert es nicht, wenn maximal 30 Prozent der anspruchsberechtigten Kinder das Angebot nutzen.

Was müsste man tun, um deren soziale Teilhabe zu stärken?

Es kann natürlich die Eigeninitiative von Menschen in extremen Einkommensverhältnissen gefördert werden. Das nützt aber nichts, wenn man nicht die entsprechende soziale und kulturelle Infrastruktur mit aufbaut. Und die muss kostenlos sein! Wenn der erste Schritt aus dem Haus die Kinder schon Geld kostet, können sie noch so motiviert sein. Alles was als gemeinnütziger Sektor beschrieben werden kann, muss allen Kindern ohne irgendeinen bürokratischen Aufwand und ohne Kosten zur Verfügung stehen. Konkret heißt das, freier Zugang zu Schwimmbädern, Jugendeinrichtungen, Bibliotheken und den HVV.

Nehmen an den Aktionstagen auch arme Menschen teil oder wird nur über sie geredet?

Zur heutigen Open-Space-Konferenz in Wilhelmsburg haben wir einhundert Gäste mit Armutserfahrungen eingeladen. Wir wollen einen offenen Dialog und verstehen, was es wirklich bedeutet, kein Geld zu haben. Es sollen gemeinsam Ideen entwickelt werden, wie soziale Teilhabe funktionieren kann. Am Samstag finden verschiedene Aktionen in der Innenstadt, wie ein Fußballturnier auf dem Spielbudenplatz, statt.

Wer spielt?

Die Nationalmannschaft der Wohnungslosen und der deutsche Straßenfußballmeister. Da zeigt sich, dass wir die eigenen Bilder über Menschen in Armut revidieren müssen. Klar spielen Wohnungslose Fußball, gehen gern ins Theater oder sind an Politik interessiert. Das wollen wir sichtbar machen. INTERVIEW: REA

„Aktionstage gegen Armut“ des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und der Nationalen Armutskonferenz: heute und morgen; Informationen und Programm: https://bit.ly/1mtg5XK