Eine gewisse Lächerlichkeit

Der FC Bayern hat es nicht leicht, der VfB dagegen gut: Während Cacau die Münchner mit zwei Treffern im Alleingang erledigt, beginnt für den Rekordmeister die Woche der Aufarbeitung – schwierig, wenn selbst Keeper Kahn gar nichts mehr einfällt

AUS STUTTGART JÜRGEN ROOS

Bevor der VfB Stuttgart und der FC Bayern München in der Fußball-Bundesliga beim so genannten Südgipfel aufeinander losgehen, muss man ja so manches lesen in den Gazetten. Und also wurde auch der greise Kulturwissenschaftler Hermann Bausinger befragt, der in Tübingen zusammen mit Walter Jens so etwas wie das fußballerische Gewissen der pensionierten Professorenschaft darstellt. Ein pfiffiger Zeitungsreporter hatte den 80-Jährigen gefragt, was es denn nun auf sich habe mit dem Spottgesang „Zieht den Bayern die Lederhosen aus!“ Bausinger antwortete: „In dem Liedtext wird auch der Akt der Entblößung sehr deutlich – der steht ja für eine gewisse Lächerlichkeit.“

Als Schiedsrichter Markus Merk am Samstag um 17.19 Uhr dann das Spitzenspiel abpfiff, da hatte sich dieser Satz beinahe schon als professorale Prophezeiung entpuppt. Denn selten zuvor sind den Bayern im Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion schöner die Lederhosen ausgezogen worden als bei diesem 2:0-Sieg des VfB, mit dem sich die Stuttgarter mutmaßlich für den Rest der Saison zur Nummer eins im Süden gemacht haben. Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld, mühsam die Fassung bewahrend, sagte hinterher: „Über uns wird es hereinbrechen in den nächsten Tagen.“ Die Wahrheit ist: Es war bereits hereingebrochen über die Bayern, die auf dem Rasen seltsam antriebslos und uninspiriert auftraten. Mit seinen Toren in der 23. und 25. Minute hatte der Stuttgarter Brasilianer Cacau den Münchnern den entscheidenden Doppelschlag versetzt, und die Entstehung der 1:0-Führung war das beste Beispiel für die „gewisse Lächerlichkeit“, der sich der große FC Bayern an diesem 30. Spieltag preisgab. Eine Flanke von Pavel Pardo segelte in den Strafraum, Cacau lag waagrecht in der Luft, hatte den Ball eigentlich schon verpasst, da schoss ein Bayern-Abwehrspieler dem Brasilianer das Leder doch noch so ungeschickt auf den Kopf, dass sich ein veritabler Flugkopfball entwickelte, gegen den Münchens Torhüter Oliver Kahn keine Chance hatte.

Erklären konnte dieses Tor hinterher keiner, wie so vieles. Die meisten versuchten es nicht einmal. Auch nicht Uli Hoeneß, der Manager, der offensichtlich keine Lust hatte, Prügel auszuteilen. Immerhin Mark van Bommel stellte sich den kritischen Fragen. „Das war nicht superschlecht“, sagte der holländische Mittelfeldspieler, was sich irgendwie unbeholfen, aber auch zutreffend anhörte. Oliver Kahn nahm schließlich, wie zu erwarten war, kein Blatt vor den Mund. „Ich habe noch nie erlebt, dass wir uns so in einem Spiel präsentiert haben, in dem es um so viel ging. Da stand keine Mannschaft auf dem Rasen. Jeder war mit sich selbst beschäftigt.“

Der Bayern-Kapitän hatte ja noch versucht, mit großer Gestik und lauter Stimme seine Vorderleute wachzurütteln, aber mehr als eine kurze Münchner Druckphase nach dem Wechsel war nicht dabei herausgekommen. Bereits nach 70 Minuten war dann klar, dass diese Bayern-Truppe sich bereits aufgegeben hatte. Die Siegermentalität, der Kampfgeist, das „Mir-san-mir-Gefühl“ – nichts davon war zu sehen an diesem Nachmittag. „Da spielt eine gewisse Angst im Hinterkopf eine Rolle, die Champions League nicht zu erreichen“, sagte Ottmar Hitzfeld, „Endspiele ist man beim FC Bayern gewohnt. Aber keine Endspiele um Platz drei – es ist beängstigend, dass wir Nerven gezeigt haben.“

Der schweigende Manager Uli Hoeneß dürfte sich draußen bereits Gedanken darüber gemacht haben, wie er die Mannschaft für die kommende Saison umbaut. Irgendwie logisch, dass sich die Stuttgarter keinerlei Gedanken machten über die bayrischen Probleme: Die 55.000 Zuschauer hatten das Gottlieb-Daimler-Stadion gleich nach dem Schlusspfiff in ein Meer der Emotionen verwandelt, in dem das VfB-Team ausgiebig badete.

Als die Mannschaft nach einer Viertelstunde ihre Ehrenrunde beendet hatte, war immer noch gut die Hälfte der Fans im Stadion und beging einen Fußballfeiertag, wie es schon länger keinen mehr gegeben hatte auf dem Cannstatter Wasen: Die Bayern besiegt, ein Frühlingsfest der Fußballkunst zelebriert und die so genannte Woche der Wahrheit mit drei Siegen beendet – mehr ging nicht. Zumindest auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick stellte der ein oder andere Schwabe überrascht fest, dass der VfB nun nicht nur im Rennen um die Champions-League-Plätze beste Karten hat, sondern sogar das Double noch möglich ist. Selbst der Stuttgarter Trainer Armin Veh legte nach mehr als einstündiger Bedenkzeit seine Zurückhaltung ab. Da fragte ihn ein Fernsehreporter, was er lieber mitnehmen wolle, Meisterschaft oder Pokal? Veh antwortete keck: „Wenn Sie mich so fragen, dann beides!“