Indiens „ältere Schwester“

Mamata Banerjee ist jetzt fast allein gelungen, was jahrelang unmöglich schien: Die 56-jährige Politikerin löst jetzt die „Communist Party of India – Marxist“, CPI (M), nach 34 Jahren von der Macht in ihrer Hochburg Westbengalen ab. Dabei verfügt „Didi“ („ältere Schwester“), wie Banerjee genannt wird, weder über eine einflussreiche Familie, noch über Reichtum oder eine schlagkräftige Organisation, was auch in Indiens Demokratie hilfreich ist. Doch ist die unverheiratete Tochter eines Lehrers, die mit ihrer Mutter in spartanischen Verhältnissen in Kalkutta lebt, eine feurige Rednerin mit populistischer Ader und großem Machtinstinkt.

Einst gehörte sie der Kongresspartei an, doch als diese mal mit den Kommunisten eine Machtteilung besprach, stieg Banerjee aus und gründete ihren Trinamool Congress. Darin gibt sie allein den Ton an. Seit sie von einem kommunistischen Mob verprügelt wurde, ist sie eine missionarische Antikommunistin. Zugleich tritt sie selbst mit einfachen weißen Baumwollsaris und Plastiklatschen ähnlich volksnah auf wie ihre kommunistischen Widersacher.

Während die CPI (M) über eine organisierte Basis in jedem Dorf verfügt, hat Banerjee nur einige gebildete junge Leute um sich geschart, die sie per SMS („Short Mamata Service“) dirigiert. Prominent wurde sie 2007, als sie sich im Konflikt um Landenteignungen für eine Autofabrik des Tata-Konzerns bei Kalkutta an die Spitze protestierender Bauern stellte und damit plötzlich die Kommunisten vor sich her trieb. Als Tata 2008 aufgab und seine Fabrik andernorts baute, war die CPI (M) blamiert.

Banerjee wurde zunächst Eisenbahnministerin in Delhi, weil die dort regierende Kongresspartei ihre Unterstützung brauchte. Als Ministerin hat sie bisher nichts vollbracht, außer die Staatsbahn wieder defizitär werden zu lassen. Auch ist unklar, wie sie ihre vollmundigen Versprechen für Westbengalen, etwa Industrie und Landwirtschaft zugleich zu stärken, umsetzen will. Doch wollen die Westbengalen lieber mit „Didi“ als neuer Ministerpräsidentin eine ungewisse Zukunft riskieren, als weiter die immer arroganteren Kommunisten zu ertragen.

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