Wovon wir reden, wenn wir über Bärte reden

BEHAARUNG Der Bart taugt als kommunikatives Distinktionsmittel – und stärkt das Selbstwertgefühl seines Trägers. Eine Annäherung an den „neuen Mann“

Der moderne Bart wird jenseits von Schichten getragen – er spiegelt die Pluralisierung der Lebensstile wider

VON ALEM GRABOVAC

Der Schauspieler George Hamilton hat sich in einem Interview zum Thema Bart einmal wie folgt geäußert: „Die Vorliebe der Männer für Vollbärte hängt mit der Emanzipierung der Frau zusammen. Denn beim Vollbart kommt auch die emanzipierteste Frau nicht mit.“

Gewiss ist George Hamilton kein führender Zeitdiagnostiker, aber in seinem Spruch liegt dennoch ein Quäntchen Wahrheit. Seit einiger Zeit feiert der Bart gerade bei jungen Leuten als Ausdruck der „neuen Männlichkeit“ sein unaufhaltsames Comeback. Frauenversteher, Softies und eine androgyne Metrosexualität à la David Beckham sind out. In den Jahrzehnten vor dem Comeback des Bartes wurde der Mann verweiblicht, Bart- und Brusthaare waren verpönt, galten als evolutionär rückständig und archaisch. Doch damit ist jetzt Schluss. Der Mann lässt im Zuge des Re-Gendering seine Haare wieder sprießen. In den Straßen, Clubs, Büros und Galerien von New York, London, Mailand, Paris und Berlin hat der moderne Mann seine Vorliebe für den Bart wiederentdeckt.

Darüber hinaus ist der Bart heute individualisiert, er ist kein klassenspezifisches Merkmal wie der wilhelminische Vollbart Ende des 19. Jahrhunderts oder der proletarische Schimanski-Ruhrpott-Schnauzer Mitte der Achtzigerjahre. Der moderne Bart wird jenseits von Klasse und Schicht getragen, ist ein Erkennungszeichen des unabhängigen Persönlichkeitsprofils und spiegelt somit die Pluralisierung der Lebensstile wider. Der Bart ist ein kommunikatives Distinktionsmittel, er unterstreicht die Individualität des Mannes und stärkt durch seine besondere Ausprägung das Selbstwertgefühl des Bartträgers.

Dort, wo Bart wächst, ist mittlerweile alles erlaubt. Es gibt den eleganten Clark-Gable-Rhett-Butler-Schnauzbart, den sokratisch-marxistischen Philosophenvollbart, den künstlerisch anspruchsvoll gezwirbelten Salvadar-Dalí-Gedächtnisbart, den revolutionären Che-Guevara-Look, den Porno-Schnauzer der Siebzigerjahre, den graumeliert gepflegten Sean-Connery-Würdevollbart bis hin zu dem abenteuerlustigen Johnny-Depp-Piratenstyle. Der Bart ist ein ornamentaler Gesichtsschmuck, er wird gefärbt, gewaschen, gekämmt, geschnitten und in immer wieder neuen Anordnungen getragen. Er ist ein Teil der Remix-Kultur des 21. Jahrhunderts, er kombiniert die unterschiedlichsten historischen Bartformen und Barttrachten, verbindet den Ziegenbart mit dem Backenbart oder den Kinnbart mit einem schmalen arabesken Schnauzer und symbolisiert somit die individualistische und kreative Experimentierfreude des „neuen Mannes“.

Verschiedenen Studien zufolge sind die Frauen über diesen Trend nicht begeistert. Sie sagen, dass der Bart beim Küssen kratze, nicht ästhetisch sei und zudem ein machtbewusstes und testosterngesteuertes Männlichkeitsideal verkörpere, das nicht mehr zeitgemäß sei. Na ja, im Märchen ist der Prinz ja auch immer der nette, liebevolle und glattrasierte Jüngling, der die Frauen auf Händen trägt – während der behaarte König Blaubart seine sämtlichen Gemahlinnen grausam ermordet. Aber das ist es ja: Vielleicht wollen wir Männer keine braven, verständnisvollen, pflegeleichten und romantischen Märchenprinzen mehr sein, sondern – wenigstens dem Anschein nach – wieder etwas verwegener und gefährlicher aussehen.