Ein letzter Gefallen für Oury Jalloh

Vor drei Jahren eröffnete der Guineer Mouctar Bah ein Internetcafé in Dessau. Dann verbrannte der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Polizeizelle. Bah setzt sich für die Aufklärung des Falls ein. Den Gewerbeschein ist er los – wegen seines Engagements?

AUS DESSAU CHRISTIAN JAKOB

Mouctar Bah sagt „Herzlichen Dank“ auch dann, wenn sich eigentlich sein Gegenüber bedanken müsste. Bah ist ein überaus höflicher Mensch. Er kommt aus dem westafrikanischen Guinea und betrieb bis vor kurzem ein Internetcafé in Dessau. In Dessau verbrannte vor zwei Jahren der Asylbewerber Oury Jalloh, gefesselt in einer Polizeizelle. Bah hat maßgeblich dazu beigetragen, dass seit Ende März zwei Polizisten vor Gericht stehen. Unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge, lautet die Anklage.

Am ersten Verhandlungstag erscheint Bah vor dem Landgericht Dessau in Nadelstreifenjackett und Kapuzenpulli. Dazu trägt er Jeans und halbhohe Schuhe aus glänzendem, schwarzem Leder. Er ist Mitte dreißig, wirkt aber zehn Jahre jünger. Bah begleitet die Mutter des Toten an Kameras vorbei in den Saal. Er hat mit dafür gesorgt, dass eine Stiftung die Kosten für ihre Anreise übernimmt.

Vor fünfzehn Jahren kam Mouctar Bah nach Deutschland, um Wirtschaftswissenschaften zu studieren. In Berlin lernte er seine Frau kennen, eine Krankenpflegerin. Sie heirateten und bekamen eine Tochter. Aus dem Studium wurde nichts mehr. „Ich musste als Kommissionierer arbeiten, um Geld zu verdienen.“ „Kommissionierer“ heißt: Tiefkühlkost abpacken im Schichtbetrieb. Zehn Jahre ging das so. Dann hatte er die Idee mit dem Internetcafé. „Ein Freund hat mich darauf gebracht. Ich habe dann herausgefunden, dass es so etwas in Dessau noch nicht gab.“

Das Telecafé, das Bah schließlich 2004 eröffnete, ist klein und offenkundig selbst eingerichtet. In der Ecke steht ein Regal mit afrikanischen Lebensmitteln. Eine antirassistische Initiative nennt es einen „Ort, an dem sich afrikanische Menschen aus Dessau treffen und sich ein bisschen sicherer fühlen können als auf der Straße“. Bah wohnt über dem Café. Frau und Tochter sind in Spandau geblieben, die Wochenenden verbringt er bei ihnen. Verkraftet die Beziehung das? „Sie muss.“

Am 7. Januar 2005 hört Bah im Radio, dass ein Afrikaner im Polizeirevier verbrannt ist. Schnell wird klar: Es handelt sich um Oury Jalloh, einen Mann aus Sierra Leone. „Er kam oft in mein Café, um zu telefonieren,“ erzählt Bah. Oft waren es Gespräche mit Behörden: Jalloh hatte wegen Sorgerechtsstreitigkeiten und seines Asylverfahrens viel mit Ämtern zu tun. Bah sagt, er habe Jalloh manchmal geholfen und mit den Sachbearbeitern gesprochen, wenn es Verständigungsprobleme gab. So entwickelte sich etwas, was Bah mal als „Freundschaft“, mal als „gute Bekanntschaft“ bezeichnet.

Die offizielle Version, Jalloh habe die feuerfeste Matratze, auf der er gefesselt lag, selbst angezündet, glauben Bah und seine Freunde nicht. Antirassistische Gruppen aus Berlin schalten sich ein. Mit Bah und seinen Freunden gründen sie die „Initiative Oury Jalloh“. Bahs Aufgabe ist es, „die Afrikaner zu mobilisieren und den Kontakt zu den Deutschen zu halten“. Die Initiative versucht, die Ermittlungen voranzutreiben. Ihr Anwalt fordert die Röntgenbilder von Jallohs Leiche an. „Aber die Staatsanwälte wollten sie nicht herausgeben. Da war uns klar, dass sie etwas zu verbergen haben“, sagt Bah.

Die Gruppe organisiert eine Demonstration und beschreitet den Rechtsweg. Eine Woche später gibt die Staatsanwaltschaft den Leichnam für eine zweite Obduktion frei. Die Kosten in Höhe von rund 3.000 Euro trägt die „Initiative Oury Jalloh“. „Wir haben insgesamt sechs Benefizpartys und -konzerte in Berlin und Dessau organisiert, um das Geld zusammenzubekommen“, sagt Bah. Bei der Obduktion wird ein bis dahin nicht bekannter Nasenbeinbruch festgestellt.

Als das Gericht eine Prozessvollmacht verlangt, um die Familie des Toten zur Nebenklage zuzulassen, fliegt Bah mit einem WDR-Team nach Guinea und beschafft die nötigen Unterschriften. Die WDR-Reportage erhielt 2006 den Deutschen Menschenrechts-Filmpreis.

Hat Bahs Engagement etwas damit zu tun, dass man ihm den Gewerbeschein abgenommen hat? Bah ist sich sicher, auch wenn das Ordnungsamt schon vor Jallohs Tod Bahs Laden schließen wollte, weil er ohne Genehmigung Lebensmittel verkauft haben soll – der Vorwurf wurde später zurückgezogen. Dann aber heißt es, Bah hätte geduldet, dass sich Dealer im Laden aufhalten. Vier Wochen nach der Ausstrahlung der TV-Reportage erhält er eine „dauerhafte Gewerbeuntersagung“. Aus „öffentlichem Interesse“. „Ich war geschockt“, sagt Bah. Die Vorwürfe seien „völlig unberechtigt“.

Ein Deutscher hat das Café übernommen. Seitdem ist Bah Angestellter. Etwas anderes hat er noch nicht gesucht. „Im Moment komme ich über die Runden. Wenn alles vorbei ist, sehe ich weiter.“ Warum er den Ärger auf sich genommen hat? „Die Sache hat mich einfach nicht losgelassen, auch weil ich Oury kannte.“ Er habe das Gefühl, ihm das schuldig zu sein.

Der erste Verhandlungstag dauert neun Stunden. Bah steht ganz hinten an der Wand des Saals. Über zwei Jahre hat es nach Jallohs Tod bis zum Prozessbeginn gedauert. „Wenn es nach mir ginge, hätte ich die Polizisten schon am ersten Tag verurteilt“, sagt Bah. Sie hätten sich in Widersprüche verwickelt. Über den Vorsitzenden Richter, dem Zeitungen eine „genervte“ Verhandlungsführung attestieren, will er nichts sagen. „Es ist noch zu früh, über den Richter zu urteilen.“

Am Abend verteilt Bah in einem Kulturzentrum Essen an Prozessbeobachter und Demonstranten. Auch danach ist es kaum möglich, länger als fünf Minuten am Stück mit ihm zu sprechen. Asylbewerber aus ganz Ostdeutschland sind da, sie haben eingekauft und für die Unterstützer gekocht. „Ein ganze Ziege, für alle drei Tage“, sagt Bah. Nun soll er ihre Auslagen erstatten. Bah verwaltet das Geld, das Stiftungen für die Prozessbeobachtung und die Anreise der Angehörigen von Jalloh zur Verfügung gestellt haben. Sein Handy klingelt immer wieder. Journalisten, Unterstützer, Freunde. Meist vertröstet er die Anrufer. Nur für ein Telefonat nimmt er sich mehr Zeit, es ist seine Mutter aus Guinea. „Sie macht sich viele Sorgen um mich“, sagt er. Er selbst habe zwar nie Probleme mit der Polizei bekommen, sei aber zweimal in Berlin von Nazis angegriffen worden.

Am Tag vor dem Prozessbeginn hat Dessaus Bürgermeister Mouctar Bah und Oury Jallohs Mutter empfangen. Ist Bah wütend, dass man ihm erst den Laden wegnimmt, und nun, da all die Fernsehteams in der Stadt sind, zum Fototermin lädt? „Ich fand es schön, dass er Ourys Mutter sein Beileid ausgesprochen hat“, sagt Bah. Das hätten sie immer von der Stadt verlangt, aber der alte Bürgermeister habe kein einziges Wort mit ihnen gesprochen. Die Sache mit dem Laden sei vorbei. Wenn Bah noch immer Groll gegen die Stadt hegt, zeigt er zumindest nichts davon.