„Ist da was – oder nichts“

Der Autor Ilija Trojanow ist im Sommersemester als Gastprofessor an der FU. Morgen Abend hält er seine Antrittsvorlesung – darüber, was intensive Recherche und gute Texte miteinander zu tun haben

Ilija Trojanow, 1965 im bulgarischen Sofia geboren, ist Autor, Übersetzer und Verleger. Aufgewachsen in Deutschland und Kenia lebte er danach in Indien, Kapstadt und München. Seit Anfang 2007 ist er Mainzer Stadtschreiber. 2006 erschien sein Roman „Der Weltensammler“, der den Preis der Leipziger Buchmesse gewann und dann monatelang auf den Bestsellerlisten stand. Zurzeit arbeitet Trojanow zusammen mit dem indischen Autor Ranjit Hoskote an einem Buch über Hybridität als Motor kultureller Entwicklung, das im Herbst erscheinen wird. Als Preisträger des Berliner Literaturpreises 2007 wurde Trojanow zum Sommersemester auf die „Heiner-Müller-Gastprofessur für deutschsprachige Poetik“ an die FU berufen. Morgen (18 Uhr) hält er seine Antrittsvorlesung „Recherche als poetologische Kategorie“ am Peter-Szondi-Institut, Henry-Ford-Bau, Garystr. 35.

INTERVIEW WIEBKE POROMBKA

taz: Herr Trojanow, Sie werden in diesem Semester als Gastprofessor für Poetik an der FU lehren. Ihre morgige Antrittsvorlesung trägt den Titel „Recherche als poetologische Kategorie“. Ist denn das Recherchieren für das Schreiben von literarischen Texten so wichtig?

Ilija Trojanow: Ja, absolut wichtig. Literatur ist dann schwach, wenn ein Autor über etwas schreibt, was er nicht bis in die Details hinein kennt. Heute sieht es ja so aus: Die meisten jungen Autoren sind sehr behütet und sehr weltabgewandt aufgewachsen. Und deshalb trifft man im Moment auch so oft auf eine Literatur, die sich darauf beschränkt, diese kleine, private Welt zu porträtieren. Um aber glaubwürdig und kompetent schreiben zu können, muss man eben den Weg über die Recherche gehen.

Aber was heißt das genau?

Ganz wichtig ist mir, dass es bei der Recherche nicht einfach darum geht, Informationen zu sammeln. Das heißt, es ist nicht einfach ein technischer Vorgang.

Sondern?

Sondern es geht darum, dass man sich durch die Recherche ein Fundament baut, oder sagen wir: dass man sich einen Tisch zimmert. Und auf dieser festen Unterlage kann dann die Fantasie frei herumtoben. Recherche ist ein Prozess der informativen Anverwandlung. Der Autor muss sich zuerst eine Souveränität im Raum, in der Epoche, in den Figuren erarbeiten. Und dann muss er all sein Wissen vergessen oder zumindest in den Hintergrund schieben.

Wenn das Wissen zu sehr im Vordergrund steht, dann …?

… dann kommt auch wieder nur schwache Literatur dabei raus. Gerade an historischen Romanen kann man das häufig beobachten: Es gibt jede Menge recherchiertes Material und angelesenes Wissen. Aber es fehlt die erzählerische Umsetzung.

Ist es diese Umsetzung, die den Autor von anderen Materialsammlern wie etwa den Ethnologen unterscheidet?

Genau. Wobei allerdings das Spannende ist, dass man diese Grenzen zwischen den Disziplinen längst nicht mehr so scharf ziehen kann. Nehmen Sie die literarische Reportage. Das ist ein Genre, in dem ganz bewusst die klassischen Grenzen zwischen Literatur und Journalismus aufgelöst werden. Und was die Ethnologie angeht: Da gibt es mittlerweile auch richtige Erzähler, die den Übergang hin zur Belletristik fließend werden lassen. Wir leben ja zunehmend in komplexeren Zeiten, und da ist es ganz einfach logisch, dass kreative Menschen nicht in dem engen Korsett ihres Fachs bleiben wollen und können. Stattdessen nutzen sie die Möglichkeiten anderer Genres und anderer Fächer, um diese Komplexität zu begreifen und abzubilden.

Ihr Roman „Der Weltensammler“ spielt in Afrika, Indien und der arabischen Welt, wo Sie auch selbst viel Zeit verbracht haben. 2003 haben Sie sogar eine Pilgerfahrt nach Mekka gemacht. Muss man immer so weit reisen – oder kann man auch bei sich im Kiez ein guter Autor werden?

Das hängt immer ganz davon ab, worüber man schreibt. Aber auch den Kiez muss man natürlich genau kennen, wenn man ein gutes Buch darüber schreiben will. Die entscheidende Frage ist: Kennt der Autor sich selbst oder kennt er den Kiez? Oft denken Autoren, wenn sie nur besonders sensibel auf ihre Gefühle hören, würde das schon ausreichen, um etwas über die Welt sagen zu können. Das ist ein gefährliches Missverständnis.

Sie werden ja an der FU eine Schreibwerkstatt für junge Autoren leiten. Wie bringen Sie denen das Recherchieren bei?

Recherche ist ein lebenslanger Vorgang. Der ist in ein paar Sätzen nicht zu erklären. Das würde den Rahmen so eines Seminars sprengen. Aber darum geht es mir auch gar nicht. In der Antrittsvorlesung über die „Recherche als poetologische Kategorie“ werde ich, ganz klassisch, etwas über mich und meine Arbeitsweisen kundtun. In der Autorenwerkstatt sehe ich meine Aufgabe dann vor allem darin, dass ich den Studenten beim Schreiben ihrer Texte zur Seite stehe.

Was werden Sie da konkret machen?

Vor allem werde ich eins nicht machen: den Studenten meine eigenen poetischen Wege oktroyieren. Und auch Kreativität ist natürlich etwas, was man niemandem beibringen kann. Was man aber vermitteln kann, ist der kritische Umgang mit dem eigenen Text. Also das Reflektieren darüber, was man da gerade geschrieben hat und was es taugt.

Wie wählt man denn unter den vielen Bewerbern für so eine Autorenwerkstatt diejenigen aus, die dann tatsächlich teilnehmen dürfen?

Das ist eigentlich ganz einfach. Auch wenn Menschen erst mit dem Schreiben beginnen, kann man fast auf den ersten Blick unterscheiden zwischen Texten, die etwas versprechen, und zwischen Texten, die ganz flach daliegen. Man merkt sehr schnell: Ist da was oder ist da nichts.

Werden Sie Ihren Berlin-Aufenthalt auch nutzen, um hier selbst zu recherchieren?

Ja, na klar, ohne geht es ja nicht. Recherche bedeutet eben, dass man immer mit offenen Augen durch die Welt geht.