Die Leiden des alten M.

THEATER In seinem Soloabend „Mephisto.Sein.Goethe“ setzt sich der Schauspieler Jonathan Prösler im Schlachthof mit dem Nationaldichter der Deutschen auseinander

Warum Goethe? „Weil ich den hasse. Den fand ich immer scheiße“

Jonathan Prösler, Schauspieler

VON JENS LALOIRE

Im deutschsprachigen Kulturraum ist es nicht einfach für Mephisto – sobald nach seinem Namen gefragt wird, fällt der Name „Faust“. Mephisto, das ist hierzulande für viele ausschließlich der Gegenpart des Faust, in der gleichnamigen, erstmals 1808 veröffentlichten Tragödie Johann Wolfgang von Goethes.

Kein Wunder also, dass Mephisto nicht besonders gut auf den Nationaldichter zu sprechen ist, schließlich hat der ihn keineswegs erfunden. Seine Wurzeln reichen mindestens bis ins 16. Jahrhundert zurück, wo er bereits in Volkssagen und Christopher Marlowes Drama „Die tragische Historie vom Doktor Faustus“ eine Rolle spielt. Für Mephisto ist es folglich an der Zeit, mit Goethe abzurechnen. Wie eine solche Abrechnung aussehen könnte, davon erzählt die Inszenierung „Mephisto.Sein.Goethe“, die im September im Schlachthof Premiere feierte. Hauptverantwortlich für diesen Abend ist der Bremer Schauspieler Jonathan Prösler, der nicht nur die Idee dazu hatte, sondern auch ganz allein auf der Bühne agiert. Auf die Frage, warum er sich in seiner ersten Soloarbeit mit Goethe auseinandersetzt, antwortet er: „Weil ich den hasse. Den fand ich immer scheiße.“

Vielleicht nicht die schlechteste Voraussetzung, um sich mit dem Klassiker auseinanderzusetzen. Prösler geht diese Auseinandersetzung in sieben Episoden an, die er mit sieben Regisseuren erarbeitet hat (darunter Tobias Pflug vom Schlachthof und Erik Roßbander von der Shakespeare Company). Trotz der unterschiedlichen Handschriften der Regisseure fügt sich der Abend zu einem gelungenen Ganzen.

Dazu trägt unter anderem das Bühnenbild bei, eine schrankgroße Holzbox, die der Vater des Schauspielers gezimmert hat und die im Laufe des Abends mehrfach mit wenigen Handgriffen umgebaut wird. In diesem Goethe-Kosmos-Kasten, der zu Beginn wohl nicht zufällig an ein Marionettentheater erinnert, steckt der Teufel, und aus diesem Kasten will er raus. Unter Schmerzen zwängt er sich durch ein Loch in die vermeintliche Freiheit. Die wuchtige Gestalt, die dort nun in goldfarbener Leggins und mit Goldstaub überzogenem freien Oberkörper im Rampenlicht steht, erinnert weniger an einen Teufel, sondern vielmehr an einen Wrestler. Aber das Kostüm passt gut zu dem, was folgt: Prösler alias Mephisto ringt in sieben Runden mit Goethe, und mit sich selbst. Mal drückt er die Schulbank und büffelt mithilfe der dutzendbändigen Goethe-Gesamtausgabe Daten aus dem Leben und Werk dieses „olympischen Monstrums“, mal leckt er mit der Zunge über die Seiten des „Werthers“, auf der Suche nach teuflischen Stellen, und ein anderes Mal erregt er sich in einer Suada über diesen „aalglatten“ Poeten, der zu allem und jedem seinen Senf dazugegeben habe.

Überhaupt wird der Großteil dieses Monologabends von einem gewissen Zorn gegen Goethe und seine Allgegenwärtigkeit angetrieben. Doch es geht auch zärtlich: So liest Prösler in einer Episode minutenlang Verse des Dichters, und zwar ganz still für sich, während das Publikum erwartungsvoll lauscht und sich schließlich freut, als es gegen Ende doch ein paar bekannte Verse zu erhaschen vermag. Diese sanften Momente sind jedoch die Ausnahme, vor allem ist „Mephisto.Sein.Goethe“ eine kraftvolle Inszenierung. Dies mag unter anderem daran liegen, dass das Projekt in seiner Entstehung von Männern dominiert wurde – ein Dichter, ein Schauspieler und sieben männliche Regisseure. Immerhin die Produktionsleitung ist weiblich, denn „Mephisto.Sein.Goethe“ ist die erste Arbeit des Labels „theaterPUNKproduktion“, das Prösler gemeinsam mit der Theaterpädagogin Nina Zimmermann gegründet hat. Die Männerdominanz tut der Qualität des gut einstündigen Abends allerdings keinen Abbruch. Prösler ringt, schwitzt, brüllt, schimpft und zweifelt mit solcher Inbrunst und Überzeugungskraft, dass man ihm gerne noch länger zuschauen würde.

Mephisto indes ist am Ende so klug wie zuvor: Mag er sich winden und fluchen, wie er will, es gibt doch kein Entkommen aus dem Goethe-Kosmos, Mephisto bleibt eine Marionette, die dazu verdammt ist, ihre Rolle im Werk des Universalgenies zu spielen. Ihm dabei zuzuschauen, ist jedoch eine Lust.

■ Donnerstag, 25. September, Freitag, 24. & Samstag, 25. Oktober, 20 Uhr, Schlachthof