Ein gewichtiger Störfaktor namens Dotcom

NEUSEELAND Bei den Parlamentswahlen am Samstag will der Internet-Millionär Kim Dotcom aus Kiel das Zünglein an der Waage spielen. Er will damit seine mögliche Auslieferung in die USA verhindern

VON URS WÄLTERLIN

SYDNEY taz | Kim Dotcom macht nichts klein. Wenn der wuchtige Hüne für ein Interview Hof hält, inszeniert er sich in einem schweren Sessel an einem langen Tisch, Wasserflasche in der einen Hand, Schweißtuch in der andern. Sein Millionen-Anwesen bei Auckland ist eines der größten Neuseelands. Von dieser Basis kämpft er gegen die US-Behörden, die wegen vermeintlicher Copyright-Verletzungen seine Auslieferung verlangen.

Dotcom (40) greift jetzt zur Macht in seiner Wahlheimat Neuseeland, oder zumindest eines Teils davon. Dabei ist der gebürtige Kieler und frühere Hacker Kim Schmitz, der seinen Namen in Dotcom ändern ließ, in Neuseeland als Ausländer nicht einmal stimmberechtigt.

Erst gründete er seine „Internet-Partei“, dann schloss er sich mit der von Maori-Ureinwohnern dominierten linken Minderheitspartei Mana zusammen. Die Hochzeit der Sozialisten mit dem Ultra-Kapitalisten ist nur auf den ersten Blick absurd. So könnte es Dotcom schaffen, bei den Wahlen am Samstag auch mit wenigen Stimmen bis zu drei der 120 Parlamentssitze zu erhaschen. Genug, um der konservativen Nationalpartei des Premierministers John Key, der laut Umfragen klar vor der oppositionellen Labour-Partei gewinnen dürfte, das Leben schwer zu machen. Politischer Einfluss ist vielleicht der einzige Weg, wie Dotcom einer Auslieferung und einer seiner Meinung nach langen Haftstrafe entgehen kann.

2012 hatte ein Sondereinsatzkommando der neuseeländischen Polizei auf Antrag der US-Justiz und des FBI Dotcoms Anwesen gestürmt. Er kam für ein paar Tage hinter Gitter, der von ihm gegründete Internet-Datenspeicherdienst Megaupload wurde geschlossen. Millionen Nutzer verloren Zugang zu ihren Daten, Dotcoms Vermögen wurde eingefroren. Nutzer hätten Filme und Software hochgeladen, die anderen zugänglich gemacht wurden, so der Vorwurf. Dotcom sei direkt am sogenannten „File-Sharing“ beteiligt gewesen und habe damit Millionen verdient. Der Deutsche bestreitet das. 2013 gründete er einen Nachfolgedienst: Mega. Dotcom war wieder im Geschäft, doch die Gefahr einer Auslieferung blieb.

Beobachter in Wellington sehen Dotcoms Einmischung bei den Wahlen nur als Störfaktor – aber als gewichtigen. Dotcom verspricht den „Kiwis“ kostenlose Ausbildung, billigen Internet-Zugang, die Entkriminalisierung von Marihuana – und ein „Ende des Ausspionierens“. Am Montag ließ er den NSA-Informanten Edward Snowden und Wikileaks-Gründer Julian Assange per Video vor begeisterten Fans sprechen. Der Vorwurf: Die Neuseeländer seien nicht nur von der amerikanischen NSA überwacht worden, sondern Wellington habe ein eigenes Massenüberwachungsprogramm geplant. Premier Key bestätigte letzteres. Doch daraus sei nichts geworden, bei dem Gedanken daran habe er sich „unwohl gefühlt“.

Key nennt Dotcoms Marsch in die Politik einen „zynischen Versuch“, eine mögliche Auslieferung abzuwenden. Jede Deportation muss der Justizminister billigen. Trotzdem dürfte sich Key fragen, ob das Spektakel des Deutschen seine Chancen mindert, seine dritte Amtszeit so leicht zu gewinnen, wie einige Beobachter prognostizierten.

Bisher haben die Neuseeländer Dotcoms Kampf gegen die „von Hollywood beeinflusste Obama-Administration“ stets unterstützt. Doch Kritiker glauben, Dotcoms Vorgehen könnte in die Hände des ruhigen Key spielen. Das Kind einer jüdischen Flüchtlingsfrau aus Österreich wuchs in einer Armensiedlung auf und brachte es als Investmentbanker zum Multimillionär. Key ist beliebt – trotz oder gerade wegen Privatisierungen und einer Mehrwertsteuererhöhung.