berliner szenen Sichtlücken suchen

Der Handy-Foto-Bär

Mein dreijähriger Neffe aus Dresden ist zu Besuch und will Knut sehen. Mein Freund Denny ist aus England angereist, auch wegen Knut. Kinder unter fünf Jahren können Knut umsonst anschauen. Wir Erwachsenen zahlen elf Euro. Es ist zehn nach zehn am Morgen. Wir haben noch Zeit, ein paar andere Tiere zu besuchen, bevor wir uns zum Eisbärengehege aufmachen müssen. Knut hat nämlich nur um 11 und um 14 Uhr Ausgang, das weiß inzwischen jeder.

Während wir die langen Zungen der Giraffen bewundern, strömen Menschenmassen an uns vorbei, alle in eine Richtung. Eine Stunde verbringen wir in der Schlange vor der Schleuse, hinter der wir uns dann einen Platz vor dem Eisbärengehege ergattern dürfen. Ich lerne eine nette Jungmutter aus Steglitz und zwei Teenager aus Pankow kennen. Der Neffe sitzt auf den Schultern meines Bruders. Er jauchzt vor Freude, als er Knut sieht. Ich kann, bis auf lauter größere Menschen und hochgehaltene Handys und Kameras, nichts sehen. Es geht nicht darum, Knut zu sehen, sondern darum, ein Foto von ihm zu haben. Wie beim Rockkonzert versuche ich auf Zehenspitzen, Sichtlücken zu finden, die einen Blick auf den kleinen Eisbären freigeben. Einmal gelingt es mir. Knut beißt Thomas zärtlich ins Bein.

Für das Gehege daneben, mit Bewohnern des künstlichen Polarkreises darin, interessiert sich niemand. „Schau mal, die Polarwölfe“, rufe ich meinem Neffen zu. „Pullerwölfe“, brüllt der und hält sich den Bauch vor Lachen.

„Bei Knut war es fast so gut wie bei den Shins“, sagt mein Freund Denny danach. Mein Neffe erzählt jedem, den wir im Zoo treffen, dass er Knut gesehen hat. Ein erschöpft wirkender Mann schaut meinen Neffen müde an: „Ich auch.“ MAREIKE BARMEYER