Massenproteste in Kirgisien

Tausende Anhänger der Opposition demonstrieren in der Hauptstadt Bischkek gegen Staatschef Kurmanbek Bakijew. Sie wollen bis zu seinem Rücktritt ausharren

Die Teilnehmer der Proteste werden schlicht bezahlt, pro Tag und Aufgabe

BAKU taz ■ Und wieder schallt der Kampfruf „Ketzen, Bakijew ketzen!“ (Bakijew tritt zurück!) durch das Zentrum der kirgisischen Hauptstadt Bischkek. Die kirgisische Opposition, die sich aggressiv zur Vereinigten Front erklärt hat, stellt die Machtfrage. Unter der Führung des ehemaligen Premierministers Felix Kulow versammelte sie gestern auf dem Ala-Too-Platz in Hörweite des Regierungsgebäudes nach verschiedenen Schätzungen zwischen 7.000 und 12.000 Anhänger. Diese sollen so lange in Jurten und Zelten ausharren, bis der kirgisische Präsident Kurmanbek Bakijew nach nur zweijähriger Amtszeit zurücktritt.

Es haben sich auf dem Platz in Bischkek zwar nicht, wie die Opposition beteuert, 50.000 Menschen versammelt, aber die labile politische Lage in dem zentralasiatischen Staat bedarf nur wenige tausend Entschlossener, um für Überraschungen zu sorgen. Zudem gehen die Menschen in Kirgisien schon lange nicht mehr aus staatsbürgerlichen Überlegungen auf die Straße. Protest ist hier zum Nebenjob geworden. Die Teilnehmer werden schlicht bezahlt, pro Tag und Aufgabe. Studenten- oder Nichtregierungsorganisationen, die zuvor den zahlreichen Demonstrationen in Kirgisien einen zivilen Anstrich gaben, nehmen an dem Protestmarsch nicht teil.

In Kirgisien ist ein offener Machtkampf zwischen den Eliten aus dem Süden, die Bakijew stützen, und dem Norden unter der Führungs Kulows ausgebrochen. Und so kommen die meisten Demonstranten in Bischkek auch aus den Dörfern des Nordens. Neben der Bezahlung ist die regionale Treue ein zweiter Protestgrund – dem Klanführer ist man verpflichtet in der politischen Auseinandersetzung beizustehen.

Am Vorabend der Kundgebung, die die Opposition theatralisch mit einem mehrtägigen Hungerstreik eingeleitet hatte, erklärte der Präsident in einer Ansprache an das Volk, dass er zu jedem Kompromiss bereit sei. „Aber die andere Seite will nicht hören“, sagte Bakijew sichtlich entnervt. In der Tat hat Bakijew einen ehemaligen Oppositionsführer zum Premierminister ernannt und sich bereit erklärt, die Verfassung wieder zu ändern und Kompetenzen an das Parlament abzugeben.

Der Vereinigten Front unter Kulow reicht das nicht, sie will Bakijews Kopf. Der Präsident hat jedoch erklärt, dass er das Schicksal seines Vorgängers Askar Akajew nicht teilen und die öffentliche Ordnung mit aller Macht verteidigen werde. „Ich bin der gewählte Präsident“, erklärte Bakijew trotzig.

Die kirgisischen Sicherheitskräfte hielten sich jedoch zurück. Sichtbar wurde nur das Weiße Haus geschützt. Auf dem Dach des Regierungssitzes wachten Scharfschützen. Ansonsten blieb es ruhig. Im März 2005 hatte Bakijew selber die Proteste gegen Akajew angeführt und diesen außer Landes ins russische Exil getrieben. Danach hatte Bakijew mit Kulow bis Dezember 2006 das Land regiert. Seit der sogenannten Tulpenrevolution hangelte sich Kirgisien von Krise zu Krise. Mit dem offenen Machtkampf zwischen Bakijew und Kulow hat die politische Situation einen neuen Siedepunkt erreicht. MARCUS BENSMANN