Kretschmann’s Fifteen

Eins ist klar an Bilkay Öneys politischer Linie: Sie führt nach oben. Als die Deutschtürkin im Jahr 2006 das erste Mal für das Berliner Abgeordnetenhaus kandidierte, landete sie gleich auf Listenplatz 3 ihrer Partei. Das waren damals noch die Grünen. Drei Jahre lang blieb sie Abgeordnete und integrationspolitische Sprecherin der Fraktion, ehe sie im Mai 2009 zur SPD übertrat. Kurz zuvor war die Abgeordnete Canan Bayram von der SPD zu den Grünen gewechselt und hatte damit die Parlamentsmehrheit des rot-roten Senats in Gefahr gebracht. Öney stellte das Gleichgewicht wieder her: Sie habe die rot-rote Koalition vor der Bundestagswahl stärken wollen, lautete ihre Begründung.

Kritik übte sie stets am linken Flügel der Grünen, die „immer gegen alles“ seien – und landete in der SPD bei den Parteirechten. Im Kreisverband Mitte des Bezirksbürgermeisters Christian Hanke, der zum rechten „Aufbruch“-Flügel gehört, stand sie noch bis Dienstag auf dem ersten Platz der Liste für die Abgeordnetenhauswahl im September.

Dass der Platz nun frei wird, tut nicht jedem in der Berliner SPD weh. Die Art, mit der Öney die Themen Integration und innere Sicherheit verband, fanden manche in der Partei simplifizierend.

1970 im osttürkischen Malatya geboren, kam Bilkay Öney als Zweijährige nach Berlin, wo ihre Eltern erst als Arbeiter und später als Lehrer tätig wären. Sie studierte Betriebswirtschaft und Medienberatung und arbeitete als Moderatorin für den staatlichen türkischen Fernsehsender TRT in Deutschland. Zur Sarrazin-Affäre der SPD äußerte sie sich eher verhalten. Dass sie Sarrazins Parteiausschluss befürworte, sagte Öney erst, nachdem dieser genetische Erklärungen für Integrationsdefizite lieferte.

Sie wolle „weder Instrument noch Opfer“ sein, sagte Öney einmal in einem Interview. Integration bedeute für sie vor allem Chancengleichheit. Dass sie, kaum 24 Stunden nachdem die SPD in Reaktion auf das Sarrazin-Debakel eine Migrantenquote eingeführt hat, die Leitung des neu zu schaffenden Landesministerium für Integration übernimmt, ist die vorläufige Krönung einer rasanten politischen Karriere. ALKE WIERTH

Winfried Hermann, der Vorsitzende des Bundestagsverkehrsausschusses, kehrt aus der Hauptstadt in seine Heimat zurück. Geboren und aufgewachsen in Rottenburg am Neckar, studierte er in Stuttgart Sport, Deutsch und Politik und arbeitete dort in den Achtzigerjahren als Lehrer an einem Gymnasium. Knapp zehn Jahre lang leitete er den Fachbereich Gesundheit und Umwelt an der Volkshochschule Stuttgart, ehe er 1998 in den Bundestag gewählt wurde. Dort gab Hermann, obwohl er nicht der Parteilinken zugerechnet wird, mehrfach persönliche Erklärungen ab, in denen er seine Ablehnung des Afghanistan-Mandats begründete.

In Baden-Württemberg wird der profilierte Kritiker und bekennende Fan der Bahn mit seinem Fachgebiet, der Verkehrspolitik, betraut werden und es mit einer besonderen Aufgabe zu tun bekommen: Stuttgart 21. Während die SPD den Stuttgarter Hauptbahnhof in einen Tunnel verlegen will, ist Hermann strikt dagegen. Zu teuer und verkehrspolitisch falsch, meint er.

Damit es darüber nicht zu einem Volksentscheid mit ungewissem Ausgang kommt, gibt es für Hermann nur einen Ausweg: den sogenannten Stresstest. Dabei soll die Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofs in einer Computersimulation getestet werden. Falls der Text negativ ausfällt, würden zusätzliche unterirdische Gleise nötig, was das Vorhaben verteuern und scheitern lassen könnte. Fraglich wäre dann auch die Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm, die die Fahrzeit zwischen Ulm und Stuttgart verkürzen würde.

Für Hermann gibt es wichtigere Bahnprojekte. Den Ausbau der Rheintalbahn zwischen Basel und Mannheim etwa, der für den innereuropäischen Güterverkehr eine enorme Bedeutung hat. Aber auch dort – etwa in Offenburg – wehren sich Bürger vor Ort gegen die Pläne der Bahn, da sie nicht unter noch mehr Güterverkehrslärm leiden wollen. Ein besserer Lärmschutz an der Rheinschiene – teilweise Untertunnelung, Umgehungen oder mehr Lärmschutzwände – würde den Ausbau jedenfalls verteuern. Wenn in Stuttgart gesparte Milliarden dahin flössen, könnten am Ende viele zufrieden sein. Hermann zuerst. RICHARD ROTHER

In Mannheim hegten sie keinen Zweifel, dass Gabriele Warminski-Leitheußer Kultusministerin wird. „Es gab ja sonst keine weiblichen Kandidaten in der SPD.“ Außer den Attributen Frau und Parteibuch bringt die bisherige Mannheimer Bürgermeisterin für Bildung, Jugend, Sport und Gesundheit weitere Qualifikationen mit, die sie in der Bildungspolitik brauchen wird – einem auf Landesebene stets am meisten umkämpften Politikfeld überhaupt. In Mannheim hat die Verwaltungswirtin und Juristin viele Projekte angestoßen, die nun flächendeckend eingeführt werden und zu mehr Bildungsgerechtigkeit führen sollen.

Ganztagsschulen etwa, die die künftige grün-rote Landesregierung zur Regel machen will. Wie skeptisch Eltern reagieren, wenn ihre Kinder auch nachmittags Schule haben, hat die Leiterin der Mannheimer Andersen-Grundschule, Cordula Rößler, erlebt: „Die Bildungsbürgermeisterin hat dahintergestanden und uns vor allem Zeit gegeben, unser Konzept Schritt für Schritt umzusetzen.“ Nicht auf einen Schlag, sondern peu à peu wurde der Ganztagsbetrieb eingeführt. Auch der Leiter der städtischen Integrierten Gesamtschule (einer von bisher drei in ganz Baden-Württemberg), Gerhard Diehl, findet nur lobende Worte: „Wir haben hervorragend zusammengearbeitet, Frau Warminski-Leitheusser war sehr oft in der Schule.“ Man merke eben, dass sie keine klassische Parteikarriere hingelegt, sondern in anderen Berufen gearbeitet habe und mit dem Herzen dabei sei. Dass die bekennende Anhängerin gemeinschaftlicher Schulformen diese nun missionarisch verbreiten wolle, bezweifelt Diehl. „Dazu ist sie zu pragmatisch.“

Der Frau aus dem Ruhrgebiet, die erst vor drei Jahren von Unna nach Baden-Württemberg kam, attestieren ihre Mitstreiter einen Hang zu einvernehmlichen Entscheidungen. Der Mannheimer Opposition war das zu viel Konsens: „Alle Betroffenen wurden so lange um einen runden Tisch gesperrt, bis irgendeine Lösung gefunden wurde“, moniert der Vorsitzende der örtlichen FDP-Fraktion. Die einen nennen das entscheidungsschwach, die anderen einen bürgernahen Politikstil. ANNA LEHMANN

Ministerpräsident: Winfried Kretschmann, 62, Grüne, Biologie- und Chemielehrer. Er war Mitgründer der Grünen in Baden-Württemberg und wird als erster grüner Ministerpräsident in die Geschichte eingehen. Schon einmal hatte er ein kleines Stück Geschichte mitgeschrieben – 1986, als ihn Joschka Fischer nach Hessen in das erste deutsche Umweltministerium und das erste von einem Grünen geführte Ministerium holte.

Finanzen und Wirtschaft: Nils Schmid, 37, SPD, Jurist. Als Vizeregierungschef und starker Superminister soll er dem designierten Kretschmann auf Augenhöhe begegnen. Er gilt als pragmatisch und Freund einer soliden Finanzpolitik.

Inneres: Reinhold Gall, 54, SPD, Fernmeldehandwerker. Dem aktiven Feuerwehrmann wird eine enge Verbindung zur Polizei nachgesagt. Nach dem brutalen Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten fürchtete er um das Ansehen der Beamten und lehnte zunächst einen Untersuchungsausschuss ab.

Umwelt, Klima und Energie: Franz Untersteller, 54, Grüne, Landschaftsarchitekt. Der gebürtige Saarländer übernimmt die Herausforderung, den Energiekonzern EnBW zu transformieren und damit die Energiewende im Atomstromland Baden-Württemberg zu vollziehen. Dies dürfte die wichtigste Aufgabe für die neue Regierung sein.

Arbeit und Soziales, Familie, Frauen und Senioren: Katrin Altpeter, 47, SPD, Altenpflegerin. Die bisherige Vizechefin der SPD-Fraktion gilt als bodenständig und engagiert. Soziale Gerechtigkeit ist ihr großes Thema.

Wissenschaft, Forschung und Kunst: Theresia Bauer, 45, Grüne, Politikwissenschaftlerin. Die Hochschulexpertin aus der Pfalz galt von Anfang an als gesetzt für den Ministerposten. Die bisherige Vizefraktionschefin war schon während ihrer Unizeit hochschulpolitisch aktiv.

Justiz: Rainer Stickelberger, 60, SPD, Jurist. Vor seiner Zeit als Landtagsabgeordneter war der Lörracher Richter an Verwaltungsgerichten. Er lehnt eine Entstaatlichung der Justiz ab.

Ländlicher Raum und Verbraucherschutz: Alexander Bonde, 36, Grüne, Angestellter. Der Freiburger war bislang haushaltspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag.

Bundesrat, Europa und internationale Angelegenheiten: Peter Friedrich, 38, SPD, Verwaltungswissenschaftler. Der Generalsekretär der Landespartei saß bislang im Bundestag und war dort Sprecher der „Youngsters“, einer Gruppe junger SPD-Abgeordneter. In Berlin, wo sein künftiger Dienstsitz liegen wird, ist der Karlsruher also bestens vernetzt.

Staatsministerium: Silke Krebs, 46, Grüne, Kundensachbearbeiterin. Sie ist seit November 2009 Landesvorsitzende und wird künftig Kretschmanns engste Mitarbeiterin sein. Allerdings wird dies durchaus skeptisch beäugt, weil ihr die nötige Verwaltungserfahrung fehlt.

Staatssekretärin mit Kabinettsrang: Gisela Splett, 44, Grüne, promovierte Geoökologin. Die profilierte Naturschützerin wird im Verkehrsministerium angesiedelt sein und Stimmrecht im Kabinett haben.

Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung: Frau und Grüne. Mehr steht zu dieser Person noch nicht fest. Kretschmann sucht noch. NADINE MICHEL