Zum Kunden degradiert

Beim Fußball-Bundesligisten Hannover 96 hängt der Haussegen zwischen Vereinsführung und organisierten Fans schief. Beim Spiel gegen die Bayern soll nun aus Protest geschwiegen werden

von Lars Geiges

Immerhin läuft es sportlich bei Hannover 96 gar nicht mal so schlecht. Die Niedersachsen spielen einen soliden Fußball, liegen in der Liga auf Platz sieben und halten dabei einen Sechs-Punkte-Vorsprung auf die Abstiegszone. Am heutigen Samstag kommen die Bayern. Das Stadion ist ausverkauft, zum dritten Mal nacheinander. Also alles bestens in Hannover? Denkste.

Denn es hat sich Ärger aufgestaut bei den organisierten Anhängern des Klubs. Sie fühlen sich von der Vereinsführung gegängelt. Der Vorwurf: Statt wie mündige Fans behandele sie der Verein wie Kunden – bezahlen und die Klappe halten. Bereits beim letzten Heimspiel äußerte die Nordkurve, dort wo sich die treuesten Fans der Mannschaft befinden, ihren Unmut. Zu sehen waren Spruchbänder wie „Stimmung unter Vorbehalt“. Zudem wurden Handzettel verteilt, die auf den Konflikt aufmerksam machen sollten.

Der Streit schwelt seit Monaten. Einen ersten Aufreger gab es im November 2006, als publik wurde, dass die Pächterin der 96-Vereinsgaststätte den „Stammtisch Nationaler Kräfte“ des NPD-Unterbezirks Hannover in ihren Räumen tagen ließ (taz berichtete). Ein Skandal, von dem sich der Klub zwar distanzierte, dabei jedoch nicht so souverän agierte, wie die organisierten Fans meinen. „Erst auf unser Bemühen hin ist die Sache überhaupt öffentlich geworden“, sagt Christian Brehm, Vorstandsmitglied des Fan-Dachverbandes „Rote Kurve“, dem rund 80 Fangruppen angeschlossen sind. Indes war der Verein bemüht, den Vorfall unter der Decke zu halten.

Ein weiterer Streitpunkt ist ein Fantreff am Stadion. Dieser wurde den Fans bereits zu Beginn der Saison versprochen. Bisher stehen allerdings lediglich zwei der vier geplanten Container. Die vereinbarte Überdachung fehlt weiterhin. Klubchef Martin Kind sagte dazu der HAZ, er habe erst beim vergangenen Heimspiel von den Zusagen erfahren. Nun lasse er prüfen, welche Zusagen noch offen sind, um diese dann zu erfüllen.

Zu Beginn der Rückrunde sollten gar die Trikotfarben des Traditionsvereins geändert werden. Der Hauptsponsor, ein Billigflieger, erwog, die Roten fortan in ihrer Unternehmensfarbe gelb auflaufen zu lassen. Auch die Demission des Sportmanagers Carsten Linke Ende März stieß auf Kritik. Denn mit dem ehemaligen 96-Kapitän (328 Spiele für 96) entließ der Verein eine seiner wenigen Identifikationsfiguren.

Der jüngste Coup des Vereins: Der Fan-Dachverband soll für das Fehlverhalten einzelner Rowdies aufkommen und fällige Strafgelder zahlen. Eine Provokation, wie Christian Brehm von der „Roten Kurve“ findet: „Das ist der absolute Hammer. Der Verein will die riesige Mehrheit vernünftiger 96-Fans einfach in Sippenhaft nehmen.“ Und ohnehin seien die „Drohungen juristisch unhaltbar“. Anlass zu der erwogenen Maßnahme gaben Rauchbomben im 96-Fanblock bei den Gastspielen in Aachen und Frankfurt. Die Zündeleien kosteten den Verein insgesamt 5.000 Euro Strafe. Kind fordert: „Die Rote Kurve muss dafür Sorge tragen, dass sich solche Zwischenfälle nicht wiederholen.“

Zwar verurteilt der Fan-Dachverband jegliche Art von Feuerwerk im Stadion, doch möchte er nicht als „Ordnungspolizei im Fanblock auftreten“, so Brehm. Vielmehr suche die „Rote Kurve“ das Gespräch mit dem Verein, um über Reaktionen auf derartige Vorfälle zu diskutieren. Doch die Vereinsführung sah zunächst „keine Basis für konstruktive Gespräche“, wie aus einem Schreiben des Klubs an den Dachverband hervorgeht.

Dennoch trafen sich am Freitag vergangener Woche erstmalig die Vereinsvorderen mit Fanvertretern. „Das Gespräch war durchaus ein Erfolg“, sagt Christian Brehm. Und fügt hinzu: „Ob Martin Kind nun allerdings den Unterschied zwischen Fans und Kunden verstanden hat, das weiß ich nicht.“ Deshalb setzen die organisierten Fans weiter auf Protest und rufen dazu auf, heute die erste Halbzeit lang zu schweigen – sich wie Kunden auf den Rängen zu verhalten –, um in der zweiten Spielhälfte die Mannschaft umso lauter zu unterstützen.