Was für ein Käse

KREDIT Weil er nicht bei der Bank um Geld betteln wollte, ließ sich ein Südtiroler Biobauer ein alternatives Finanzierungs- modell einfallen. Seine Kunden bezahlen ihren Käse zehn Jahre im Voraus

Mit der Käsfunding-Aktion hat Alexander Agethle in kurzer Zeit eine Menge Geld eingesammelt: 150.000 Euro, von insgesamt 112 Personen

AUS MALS BARBARA BACHMANN (TEXT UND FOTOS)

Seine Philosophie ist ein Widerspruch. Aber nur im System des Kapitalismus. „Weniger ist mehr“, sagt Alexander Agethle. Oder: „Um voranzukommen, muss man einen Schritt zurückmachen.“ Auf dem Englhof, seit über 200 Jahren im Besitz derselben Familie, verarbeitet der 43 Jahre alte Biobauer die Milch seiner Kühe zu drei Käsearten: einem Hartkäse, einem Schnittkäse und einem Weichkäse. Er benennt sie nach den umliegenden Berggipfeln: Tella, Arunda und Rims.

Es ist kein gewöhnlicher Käse, das zeigen schon die vielen Auszeichnungen, die Agethle dafür erhalten hat, in diesem Jahr etwa den Preis „Goldkäse – Bester Hofkäse Südtirols“. Aber noch interessanter ist das, was sich der Bauer drumherum ausgedacht hat: Sein Käse schafft Zukunft.

Im Westen Südtirols, einer vom Apfelanbau geprägten Region, liegt auf 1.050 Meter Meereshöhe die 5.000-Einwohner-Gemeinde Mals. Direkt neben dem Englhof steht die alte Dorfsennerei, die Agethle im letzten Jahr gekauft hat und nun saniert. Eine Investition von 350.000 Euro, für deren Finanzierung ihn der herkömmliche Weg zur Bank geführt hätte. Aber herkömmliche Wege geht Agethle ungern.

Er hat ein anderes Finanzierungsmodell gefunden. Das Geld, das seine Kunden heute bereitstellen, zahlt er zehn Jahre lang in Form von Käse zurück – ein Crowdfunding der besonderen Art. In Italien gibt es sogar eine gesetzliche Grundlage dafür. Den Verkauf von Lebensmitteln über Gutscheine bezeichnet das Zivilgesetzbuch als „vendita di cosa futura“, den „Verkauf künftiger Sachen“. Der aktuelle Preis aller drei Käsesorten bleibt für Gutscheinkunden zehn Jahre lang derselbe: 22,70 Euro pro Kilogramm. Keine Inflation für die Kunden also, und Agethle bezahlt die ausbleibende Preissteigerung sozusagen als Zinsen. Je nach Preis- und Zinsentwicklung macht er vielleicht auch einen Verlust. Aber reich zu werden ist auch nicht sein Ziel.

Der Mann mit den leicht ergrauten Haaren und den durchdringenden blauen Augen hat die klassische Schule der intensiven Landwirtschaft durchlaufen. Er unterbricht sein Landwirtschaftsstudium in Florenz, um ein Jahr lang in Palm Springs zu leben, in Südkalifornien sichert er sich dann auch einen Studienplatz. Doch daraus wird nichts. Denn die US-Behörden vermuten, er wolle sich vor dem verpflichtenden italienischen Militärdienst drücken und verweigern ihm daraufhin das Visum für die USA.

„Damals brach eine Welt zusammen“, sagt Agethle, „nachher war es mein Glück.“ Es führt ihn weg von der konventionellen Wirtschaft hin zu einem Ansatz, den er lange schon in sich trägt.

Mehr Kühe, weniger Ertrag

Statt des Militärdienstes absolviert Agethle den Zivildienst beim Rettungsdienst, beendet sein Studium und geht an das Alpenforschungsinstitut in Garmisch-Partenkirchen, wo er die Auswirkungen der EU-Agrarpolitik auf die Landwirtschaft im Alpenraum untersucht. Später baut er fünf Jahre lang die Landwirtschaft im kriegsgebeutelten Kosovo mit auf.

Sommer 2014, der Stall im Erbhof Englhof ist leer, die zwölf Milchkühe der Rasse Original Braunvieh – einst in der Region beheimatet und heute vom Aussterben bedroht – grasen auf der Alm. Vor dem Haus ist ein Gemüsegarten angelegt, der Traktor steht in der Einfahrt. Auf dem Hof lebt Agethle mit seiner Ehefrau Sonja, dem Sohn und der Tochter, 12 und 9 Jahre alt, und den Eltern. An einem Feiertag im August setzt seine Mutter Kaffee auf und stellt das selbst gebackene Brot auf den Tisch, Agethle kommt gerade aus der Messe, er singt im Kirchenchor, Stimmlage Tenor. Agethle ist keiner dieser wortfaulen Bergbauern, stattdessen erzählt er von der Bewahrung der Schöpfungskette, einem kosmopolitischen Weltbild. Er rollt den Buchstaben R, wenn er spricht.

Agethle betreibt ökologische Landwirtschaft, auch wenn er die Wörter biologisch und nachhaltig für abgedroschen hält. Es gab andere Zeiten auf dem Englhof. 2002 aber kommt der Sohn zurück ins Dorf und übernimmt den elterlichen Hof. Er wechselt die Kuhrasse, lässt den Tieren wieder die Hörner wachsen. Er kompostiert den Kuhmist, anstatt ihn wie die anderen Bauern als Gülle auf die Felder zu werfen. Er stockt den Viehbestand auf und verringert die Produktionsmenge. „Heute produzieren wir mit zwölf Kühen so viel wie früher mit acht.“ Pro Kuh 5.000 Kilogramm Milch im Jahr, Tendenz sinkend. Es sind Mengen, die in den 80er Jahren produziert wurden. „Heute gibt eine Kuh 10.000 bis 12.000 Kilogramm Milch pro Jahr.“

Der Bauer betrachtet seine Tiere „als beseelte Wesen.“ In seinem Stall leben Persönlichkeiten. „Manuela ist dominant und gleichzeitig verletzlich.“ Amelie hingegen sei immer auf Distanz. Und dann gebe es noch Kühe wie Dorly, es sind die dankbarsten: unscheinbar, kerngesund, gutmütig. Derzeit verarbeitet er 7.500 Kilogramm Milch zu Käse, 10.000 soll es in der neuen Sennerei werden, wenn die Milch von zwölf weiteren Kühen hinzukommt.

Im Lagerraum ruht der Käse, jeder Laib trägt den Stempel der „Hofkäserei Englhorn“, der Bestand ist nummeriert. Agethle ist für die Organisation, den landwirtschaftlichen Betrieb und die Vermarktung zuständig. Direkte Werbung macht er wenig, aber offenbar ist die auch gar nicht notwendig. Den Käse aus Rohmilch macht seit 2003 sein Freund und Senner Maximilian Eller. Der Weichkäse ist nach sechs Wochen verkaufsfertig. Der Hartkäse reift fünf oder zwölf Monate, „es ist die Königsdisziplin“. In kleinen Mengen verkauft der Englhof zudem Butter und Getreide. Sonntag ist Ruhetag, da schickt Agethle auch jene Kunden weg, die plötzlich im Garten stehen.

Mit seiner Käsfunding-Aktion hat er in kurzer Zeit 150.000 Euro eingesammelt, von 112 Personen, vorwiegend aus Südtirol, dem restlichen Italien, Deutschland und der Schweiz, aber auch aus Frankreich oder Malaysia.

Sicherheit und Vertrauen

Diese Kunden kennen die Gegend persönlich und besorgen sich den Käse ab Hof oder in einem nahe gelegenen Naturkostladen. Auch ein Restaurant in München kauft seinen Käse, man kann dort mit Gutscheinen auch Ware abholen. Bei seinen Unterstützern spürt der Biobauer das Bedürfnis, mit dem eigenen Kapital die Welt mitzugestalten und in diesem Fall eine gewisse Art der Landwirtschaft zu fördern.

Mit jedem einzelnen Kunden schließt Agethle einen Vertrag ab, Mindestsumme: 500 Euro. Bei seinem anfangs gesetzten Ziel von rund 200.000 Euro möchte Agethle die Aktion beenden. Die fehlenden 150.000 finanziert der Bauer über Eigenkapital und ein „Ethical Banking“-Kredit der Raiffeisenbank.

Was aber, wenn er in einigen Jahren keinen Käse mehr herstellen kann? Der Bauer antwortet mit einer Gegenfrage: „Welche Sicherheit gibt eine Investition in einen anonymen, Tausende Kilometer entfernten asiatischen Ökofonds?“ Er weiß: Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Der Erfolg seines Modells basiert auf einem anderen Prinzip: Vertrauen. In Alexander Agethle. Sein Produkt. Und ein anderes Wirtschaften.