Hass auf die Schwangerschaft

Der Traum von der Familie, die keine ist: 25-Jährige nimmt vor Gericht den Vater ihres Kindes in Schutz, der mit brutaler Gewalt versucht hatte, den Fötus selbst abzutreiben. Hamburger Amtsgericht verurteilt ihn zu einer Bewährungsstrafe

Und dann hat sich Andrea H. auch noch schuldig gefühlt. Wie sollte sie ihrem Kind eines Tages erklären, dass sein Vater im Gefängnis sitzt? Und wie, dass sie selbst ihn dorthin brachte, indem sie ihn wegen seiner brutalen Gewalt bei der Polizei anzeigte? Der 25-Jährigen tun auf einmal alle anderen leid. Sogar Kemo B., der Erzeuger ihres Kindes, der im nachhinein aufrichtig seinen Versuch bedauert habe, sie mit Tritten in den Bauch und Bedrohung mit dem Messer zur Abtreibung zu zwingen.

Nur sich selbst will sie nicht als Opfer sehen. „Sein Hass ging nicht gegen mich, sondern gegen die Schwangerschaft“, sagte die 25-Jährige als Zeugin vor dem Hamburger Amtsgericht, vor dem sich Kemo B. wegen der Ereignisse im September vorigen Jahres verantworten muss: „Ich bin mir sicher, dass er mich nicht wirklich verletzen wollte.“ Körperverletzung, Freiheitsberaubung, versuchter Schwangerschaftsabbruch lautet die Anklage. Das Gericht verurteilt den 28-Jährigen schließlich zu einem Jahr Haft auf Bewährung.

Andrea H. hat sich schützend vor eine Familie gestellt, die keine ist. Kemo B. ist mit einer anderen Frau verheiratet. Während die Gattin pflichtbewusst ihrer Arbeit bei der Post nachging, traf sich ihr Mann in der Ehewohnung heimlich mit Andrea H. Gleich beim ersten Mal ist sie von ihm schwanger geworden. Als sie es Kemo B. erzählte, war es mit der Romanze schlagartig vorbei: Sie wollte das Kind behalten, er nicht. Am 18. September vorigen Jahres, die 25-Jährige war in der 10. Schwangerschaftswoche, trafen sie sich, um darüber zu reden. Es kam zum Streit. Beide wurden laut. Irgendwann, so schildert es Andrea H., sei bei ihrem Liebhaber dann „eine Sicherung durchgebrannt“: Erst stieß er ihr mehrfach sein Knie in den Bauch. Dann warf er sie rücklings aufs Bett und stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht auf ihren Bauch, bis sie ihm flehend versprach, die Schwangerschaft abzubrechen. Kemo B. aber glaubte ihr nicht. Er zog ein Messer. Das setzte er ihr an Hals und Bauch und kündigte an, er werde das Baby selbst herausholen und danach Andrea H. und sich selbst töten. Erst als es der 25-Jährigen gelang, ihr Handy zu greifen und die Schwester anzurufen, ließ Kemo B. von ihr ab.

Kemo B. hat seine Gewalttaten vor Gericht eingeräumt und eine Erklärung dazu geliefert, die ihn nach Aussagen des Staatsanwaltes als „brutalen Egoisten“ entlarvt: Der aus Gambia stammende Angeklagte habe Angst gehabt, dass durch das Kind seine Frau von der Affäre erfährt, sich scheiden lässt und er seinen Aufenthaltsstatus in Deutschland verliert. Und dennoch: Seit Andrea H. in den Zeugenstand getreten sei, habe diese Geschichte eine andere Gewichtung bekommen, sagte der Ankläger: „Der brutale Egoist tritt mehr in den Hintergrund, der verzweifelte mehr in den Vordergrund.“

Sicher habe die frühere Geliebte mit ihrer Version „etwas abwiegeln wollen“. Dennoch erkannte der Staatsanwalt an, dass die Tat Folge einer „Stresssituation war, die Kemo B. nicht beherrschte“.

Auch das Gericht ging davon aus, dass der 28-Jährige in einer „Ausnahmesituation“ gehandelt habe. Das Baby aber sei durch die Gewalteinwirkung nicht geschädigt worden – obwohl die Tat „sehr brutal“ gewesen sei, wie das Gericht betonte.

Der Angeklagte hat das Urteil angenommen. Auch für Andrea H. scheint die Geschichte mit diesem Prozess abgeschlossen zu sein. Nicht aber ihre Beziehung zu dem Mann, der das Baby in ihrem Bauch töten wollte. Nach der Verhandlung stehen beide noch lange gemeinsam vor dem Gerichtsgebäude und plaudern entspannt. Dem Richter hat Andrea H. mitgeteilt, dass sie Kemo B. später ein Besuchsrecht bei seinem Kind einräumen will. ELKE SPANNER