Formvollendete Wertvernichtung

MARKT, KUNST, POLITIK Die Sammler sind abgereist, die Kunst geht weiter: Das geldschwere Happening der Berliner Kunstszene, das Gallery Weekend, war in diesem Jahr unerwartet politisch aufgeladen, auch wegen Ai Weiwei

■ Cady Noland/Santiago Sierra, Galerie KOW, Brunnenstraße 9, bis 29. Juli

■ Ai Weiwei, Neugerriemschneider, Linienstraße 155, bis 4. Juni

■ Lyonel Feininger, Moeller Fine Arts, Tempelhofer Ufer 11, bis 30. Juli

■ Anselm Reyle, Contemporary Fine Arts, Am Kupfergraben 10, bis 11. Juni

■ Rainer Fetting, Galerie Deschler, Auguststr. 61, bis 1. Juli

■ Fiona Banner, Barbara Thumm, Markgrafenstr. 68, bis 2. Juli

■ Mihai Grecu, Hengesbach, Charlottenstraße 1, bis 9. Juli

■ Gilbert & George, Arndt, Potsdamer Straße 96, bis 27. August

■ Tony Matelli, Künstlerhaus Bethanien, Kottbusser Straße 10, bis 22. Mai

VON INGO AREND

Wer in Kunstkreisen den Namen Cady Noland erwähnt, erntet meist ratloses Schweigen. War das nicht die Amerikanerin, die dem Kunstbetrieb seit langem den Rücken gekehrt hatte? Seit den 90er Jahren war die 1956 in Washington geborene Künstlerin abgetaucht. Kontakt mit ihr aufzunehmen galt als unmöglich. 2006 hatte sie eine Anfrage der Berlin-Biennale ablehnen lassen, eines ihrer Werke auszustellen.

Dann steht man eines schönen Frühlingstages plötzlich in einer Galerie in Berlin-Mitte, umringt von fröhlichen Neureichen und schaut auf eines ihrer schockierenden Werke: Handgranaten, Gewehrkugeln, zerbeulte Bier- und Coladosen, alles in Kunstharzblöcke gegossen. Das gibt diesen Werkzeugen der Gewalt, in denen Noland 1986 die Geschichte des weißen Amerika zusammengezogen hat, etwas Schwebendes.

Die Ausstellung in der avancierten Galerie KOW ist eigentlich ein Paradoxon für die spektakuläre Verkaufsförderungsmaßnahme in Sachen Gegenwartskunst, die sich unverfänglich „Gallery Weekend“ nennt. Denn Nolands Werke sind unverkäuflich. Sie stammen aus einer privaten Sammlung. Und sie sind vielleicht nicht unbedingt das, was sich amerikanische Millionäre, von denen es beim Berliner Galerien-Wochenende nicht so wenige gibt, übers Sofa in Wisconsin hängen würden.

„Generalstrike“,hausgemacht

KOW-Inhaber Alexander Koch geht es nicht nur um Geld. Er versteht seine Arbeit programmatisch. Und Coland passte gut zu seiner Ausstellung von Arbeiten Santiago Sierras, der sich ebenfalls mit der Kehrseite des amerikanischen Traumes beschäftigt. In einer Ecke des Kellers der Galerie hatte der mexikanische Künstler einen deutschen Kriegsveteranen mit dem Gesicht zur Wand gestellt. Der junge Mann kehrte mit einem Schuldkomplex von einem Auslandseinsatz der Bundeswehr zurück. Wie bei Sierra üblich, erhält er nur einen kärglichen Lohn für seinen denkwürdigen Auftritt.

Auch das muss man auf dem Stelldichein der internationalen Kunstsammler, für das jede der 44 Galerien, die sich mit dem roten Logo der Teilnehmer schmücken darf, fast 7.000 Euro hinlegen muss, erst einmal bringen: Eine hausgemachte Zeitung mit dem Titel „Generalstrike“ zu verteilen, in der Aussteiger aus der Kunst gepriesen werden. Und in der sich der Reprint eines berühmten Textes der Künstlerin Charlotte Posenenske findet: „An Introduction to Leaving the Art World behind“.

Überhaupt war das geldschwere Happening in diesem Jahr unerwartet politisch aufgeladen. Die lange unsichere Schau Ai Weiweis bei Neugerriemschneider wurde zum Schauplatz einer politischen Demonstration. Im Innenhof der Galerie hatte Rirkrit Tiravanija ein Plakat aufgespannt: „Where is Ai WeiWei“. Guido Westerwelle und Klaus Wowereit machten ihre Aufwartung. Drinnen wurden Buttons mit dem Slogan „Free Ai WeiWei“ verteilt.

Ais stille Arbeit hatte es fast schwer, gegen den Rummel anzukommen, der um sie herum tobte. Die in Südchina gesammelten Holzstücke, die Ai nach traditioneller Stecktechnik zu Skulpturen zusammengefügt und mit schweren Metallbolzen verbunden hat, sahen Urwaldbäumen täuschend ähnlich: eine (nicht nur für China) hochpolitische Metapher auf das Verhältnis von Kultur und Natur, Sinnbild ihrer Anrufung und Zurichtung in einem.

Natürlich fanden Kaufwütige in den zwei Tagen die üblichen Ausstellungen, wo die üblichen Verdächtigen ein passables Schnäppchen machen können. Moeller Fine Arts hatte in ihren herrenhausähnlichen Raumfluchten am Tempelhofer Ufer ihre Lyonel-Feininger-Bestände in salamidünne Aquarell-Scheibchen zerlegt, sodass für alle VIPs etwas übrig blieb, die aus den verspiegelten Shuttle-Limousinen stiegen. Unbedingte Zeitgenossen konnten sich am Kupfergraben bei Bruno Brunets Contemporary Fine Arts ein paar schicke Passepartouts aus raffiniert collagierten Glanzstoffen des Berliner-It-Artisten Anselm Reyle zulegen – für schlappe 60.000 Euro. Nostalgiesüchtige kamen bei Deschler in der Auguststraße mit Rainer Fettings altersmüdem Expressionismus auf ihre Kosten.

Der Markt verwandelt emanzipativ gedachte Kunst zu Wertfetischen, aber er weckt auch die Abwehrkräfte

Aber es waren eben doch auffällig viel politische Arbeiten zu sehen. Ob man Fiona Banners skulpturale Bemühungen nimmt, dem Nachleben des Roten Barons, des Kampfpilots Manfred von Richthofen, in der Comic-Kultur nachzuspüren (Barbara Thumm). Oder ob man Mihai Grecus dystopisches Video „We become oil“ nimmt, in dem sich der Ausbruch eines kleinen Feuers in der Wüste unversehens zu einem grandiosen Szenario des Untergangs der Erde weitet (Hengesbach). Und das Künstlerpaar Gilbert&George, von dem sich Autogrammjäger bei Matthias Arndt höchstpersönlich einen Katalog signieren lassen konnten, sind alles andere als bloß die zwei skurrilen Briten, als die sie in der Potsdamer Straße bei Tee und Gurkenschnittchen inszeniert wurden.

Geld verbrennen

Natürlich verwandelt der Markt emanzipativ gedachte Kunst zu Wertfetischen, aber er weckt auch die Abwehrkräfte. 48 Stunden leuchtete Renata Stih, Frieder Schnock und Donata Comanis Anti-Gentrifizierungs-Slogan „Your Home in Berlin“ in einer Shopping-Mall am Alexanderplatz. Womit sie sagen wollten: Ständig erschließen sich Kunst und Galerien neue Räume in Berlin, während immer mehr Künstler aus ihren Lebensräumen vertrieben werden.

Der beste Kommentar auf den heiligen Kommerz fand sich aber in einem der Weekend-Satelliten. „Fuck it, free yourself“ hat Tony Matelli eine seiner Arbeiten genannt, die gerade im Künstlerhaus Bethanien zu sehen sind. Friedlich verbrennt in der Installation ein Hundert-Dollar-Schein langsam vor sich hin. Der kanadische Neo-Pop-Künstler, Jahrgang 1971, zehn Jahre Assistent von Jeff Koons, einem der unbestrittenen Meister in Sachen Wertsteigerung, gibt hier ein Beispiel formvollendeter Wertvernichtung. Aber meine aufkeimende Hoffnung, von hier könnte sich das Flämmchen zum Fanal gegen den Ausverkauf der Kunst an die ganzen Dollar-Millionäre ausweiten, zerstreut Kasper König, Direktor des Kölner Museums Ludwig: „Die Herrschaften räumen die ganze Ironie schon rechtzeitig beiseite, wenn sie in etwas Lohnendes investieren können.“