Der Täter, der sich selbst als Opfer sah

Der „furchtbare Jurist“: Hans Filbinger, zu NS-Zeiten todesurteilender Marinerichter, von 1966 bis 1978 Ministerpräsident Baden-Württembergs, ist am Sonntag 93-jährig gestorben FOTO: AP

Politisch aktiv war Hans Filbinger, der am Sonntag im Alter von 93 Jahren gestorben ist, schon lange nicht mehr – aber für Kontroversen sorgte der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg bis zum Ende seines Lebens. 2003 verzichtete er auf einen Empfang der Stadt Freiburg zu seinem 90. Geburtstag. Die Grünen hatten wegen seiner Vergangenheit als NS-Marinerichter gegen die Feier protestiert. Wenige Monate später durfte Filbinger Bundespräsident Hans Köhler mit wählen. Die CDU in Baden-Württemberg hatte ihn für die Bundesversammlung nominiert.

Hans Filbinger, den der Schriftsteller Rolf Hochhuth einen „furchtbaren Juristen“ nannte, hatte noch in den letzten Kriegstagen an Todesurteilen gegen Deserteure mitgewirkt. Als dies bekannt wurde, musste er 1978 nach zwölfjähriger Amtszeit als Ministerpräsident zurücktreten. Der CDU-Politiker war bei weitem nicht der einzige Deutsche, der in der Nachkriegszeit eine steile Karriere machte, obwohl er in den Jahren des Nationalsozialismus eine hochrangige Position bekleidet hatte. Bei anderen wurde darüber hinweggesehen. Ihre – angeblichen oder tatsächlichen – Verdienste in der noch jungen Bundesrepublik wogen im mehrheitlichen Urteil der Öffentlichkeit schwerer als ihre Vergangenheit. Wieso hat ausgerechnet Hans Filbinger bis zu seinem Tod derart massive Kritik auf sich gezogen und einen solchen Streit der Meinungen provoziert?

Weil er bis zum Schluss starrsinnig und uneinsichtig geblieben ist. Er hatte versucht, seine Tätigkeit als Marinerichter mit einem Satz zu verteidigen, der zugleich als Verteidigung all jener nationalsozialistischen Schergen verstanden werden musste, die stets behauptet hatten, doch nur Befehle befolgt zu haben: „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“ Seinerzeit ging diese Haltung sogar seinen Parteifreunden zu weit, die sich später um seine Rehabilitierung bemühten.

Ist es gerecht, das Leben eines 93-Jährigen auf diesen Satz zu reduzieren? Als Politiker hatte Filbinger, der am rechten Rand der CDU stand, immerhin große Erfolge vorzuweisen: 1972 errang seine Partei bei der Landtagswahl erstmals die absolute Mehrheit, vier Jahre später fiel sein Wahlsieg noch eindrucksvoller aus. Nach seinem Rücktritt gründete er 1979 das konservative Studienzentrum Weikersheim, das eine „geistige und moralische Erneuerung“ in der Politik mit bewirken sollte. Und trotzdem: Was von Hans Filbinger in Erinnerung bleiben wird, ist nur der eine, furchtbare Satz. Das liegt nicht nur an den Todesurteilen, die er gefällt hat. Das liegt auch darin, dass er sich zeitlebens als Opfer einer Rufmordkampagne sah. Zu Unrecht. BETTINA GAUS