Allergiker leiden unter warmen Zeiten

Folge des Klimawandels: Pollenflug wird stärker. Birke blüht heute zum Beispiel acht Tage länger als noch vor 24 Jahren. Außerdem wandern neue Pflanzen ein, die Heuschnupfen auslösen. Das steigert auch die Umsätze der Pharmafirmen

VON MORITZ SCHRÖDER

Die Augen tränen, die Nase läuft, das Atmen wird schwer: Die Birkenpollen, die Allergikern zu schaffen machen, sind früh dran dieses Jahr. Früher als sonst. Während sie vor 24 Jahren erst ab dem 15. April für Heuschnupfen sorgten, erfüllen sie nun schon Anfang April die Luft. Das zeigen Untersuchungen, die ExpertInnen des Instituts für Meteorologie der FU Berlin gemacht haben.

Im Umkreis von Berlin ist der Blühbeginn der Birke in den vergangenen 24 Jahren um zehn Tage nach vorn gerückt, das -ende um zwei Tage. Das heißt: acht Tage länger juckende Augen und triefende Nasen. Deutschlandweit dürften die Ergebnisse ähnlich ausfallen: „Pollenallergiker in Deutschland werden ihre Beschwerden immer früher und teils länger haben“, sagt Karl-Christian Bergmann, Allergologe und Leiter des deutschen Polleninformationsdienstes.

Ursache für die zeitliche Verschiebung ist der weltweite Temperaturanstieg. Die Pflanzen haben sich darauf eingestellt und streuen ihre Pollen früher aus als noch vor einigen Jahren. Meteorologe Thomas Dümmel von der FU Berlin erklärt das Phänomen so: „Der Weckruf, den die Pflanzen zum Blühen brauchen, kommt heute früher.“ Mit dem Weckruf sind kurzzeitig hochschnellende Temperaturen gemeint, sie geben der Birke den Reiz zu blühen. Dafür reicht jetzt schon die Wärme Anfang März. Die durchschnittlichen Temperaturen sind in diesem Monat innerhalb der vergangenen 24 Jahre in der Region Berlin um etwa 1,5 auf 7,6 Grad gestiegen. Warum die Birke auch immer länger blüht, dafür haben Dümmel und seine Kollegen noch keine Erklärung.

Fachmann Karl-Christian Bergmann ist von der zeitlichen Verschiebung nicht überrascht. „Diese Entwicklung ist schon lange bekannt.“ Neu sind die konkreten Zahlen für eine deutsche Region. Laut Bergmann werden außer den Birken- auch die Hasel- und Erlenpollen früher fliegen. Vor allem die Bäume stellen sich also auf den Klimawandel ein. Die Gräserpollen, die laut Bergmann rund 40 Prozent der AllergikerInnen betreffen, seien hingegen weiterhin zwischen Ende März und Ende August aktiv. Sie sind weniger temperaturempfindlich.

Der Allergologe sagt immer größere Pollenmengen in den kommenden Jahren voraus. Und auch dafür ist der Klimawandel verantwortlich: „Durch die höhere Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre wird der Stoffwechsel der Pflanzen angeregt.“ Sie werden also größer und produzieren mehr Pollen.

Zudem müssen sich die AllergikerInnen auf neue Reizpflanzen einstellen. Die Beifuß-Ambrosie, ein Unkraut, das bisher vor allem in den USA oder in Osteuropa gedieh, fühlt sich durch die steigenden Temperaturen zunehmend in Deutschland und ganz Mitteleuropa heimisch. Vergangenes Jahr haben die Fachleute der FU Berlin erstmals Ambrosia-Spuren in ihren Pollenfallen entdeckt. Parallel dazu tauchten deren Pollen auch in Dresden, Wesel und Stuttgart in hohen Konzentrationen auf. Wer darauf empfindlich reagiert, hat mit einer starken Reizung der Schleimhäute und Atembeschwerden zu rechnen. „Hausärzte testen bislang aber selten eine Ambrosia-Allergie“, kritisiert der Berliner Allergologe Michael Silbermann.

Derweil nimmt die Zahl der AllergikerInnen in Deutschland zu. Zwischen 1995 und 2000 ist die Zahl der asthmakranken Jugendlichen um über 3 auf 17,5 Prozent gestiegen. Profit aus dieser Entwicklung schlagen indes die Pharmakonzerne. Laut dem Branchenanalyst IMS Health stieg der Absatz von Antiallergika zwischen 2004 und 2006 um 2 Millionen auf 124 Millionen Euro.