Der Vagabunden-Fotograf

Als Hobo mit Kamera trampte Jacob Holdt fünf Jahre durch die USA und porträtierte Glanz und Elend. Das Museum Folkwang zeigt nun eine Werkschau des engagierten Realisten und Anti-Rassisten

„Mein Tun ist eine Ausbeutung der Leiden, ohne sie zu lindern“

von KATJA BEHRENS

„Obwohl sonntagsvormittags elf Uhr die Stunde ist, in der sich in Amerika die Rassentrennung am stärksten bemerkbar macht, ging ich immer wieder zu diesen Kirchen der Weißen, da ich diese Rassisten gern von ihrer besten Seite sah, die gewöhnlich unmittelbar nach dem Gottesdienst Gästen gegenüber zur Schau gestellt wird.“

Als der Pastorensohn Jacob Holdt nach seiner Entlassung aus der dänischen königlichen Garde und einem Streit mit seinem Vater 1970 nach Kanada ging, um auf einem Bauernhof zu arbeiten, ahnte er noch nicht, dass sich alsbald sein Leben ändern sollte. Fünf Jahre lang trampte er durch nahezu alle Bundesstaaten der USA und kehrte er mit 15.000 Dias nach Dänemark zurück, die er zu einer Tonbildschau sortierte. 1977 veröffentlichte er einen Teil von ihnen als Buch: „American Pictures“.

Die deutschen Medien, das erzählt Holdt auf der Pressekonferenz, veranlassten ihn indes kurz nach Erscheinen des Buches dazu, es hier wieder vom Markt zu nehmen. Ideologisch war es sogleich vereinnahmt und in der Anti-Amerika-Stimmung der 1970er Jahre in Deutschland zu einem Instrument der Propaganda geworden. Auch der sowjetische KGB hatte die Gelegenheit zum propagandistischen Missverständnis wahrgenommen. Ein einseitiger Täter-Diskurs aber war keineswegs die Intention Jacob Holdts, der Amerika lieben gelernt hatte und auch heute für eine reflektierte Kritik der Verhältnisse eintritt. Selbst die rassistischsten Ku-Klux-Klan-Mitglieder sieht er durch deren Hass hindurch als Opfer von Gewalt und Diskriminierung: “Denn als Vagabund kann man nicht überleben, ohne die Menschen selbst als schuldlos zu sehen.“

Das Elend und Unglück, die Furcht und der Lebenskampf der Menschen, die ihm auf seinen Reisen begegneten, hat Holdt in vielen Aufzeichnungen und Briefen mit Empathie beschrieben: Schwarze Familien, in der Perspektivlosigkeit ihres Lebens gefesselt, hungernd, verzweifelt, diskriminiert. Oder weiße Mittelschicht-Familien, die sich in ständiger Angst vor ebendiesen Verzweifelten bis an die Zähne bewaffnen – um mit dieser Paranoia zu Gefangenen derselben Verhältnissen zu werden.

Nachdem ihm die Eltern eine Kamera geschickt hatten, bekamen Holdts Beschreibungen auch ein Gesicht. Es gelingt dem Fotografen dabei recht gut, die sexistischen, paternalistischen und ethnischen Stereotype der Sozialreportage zu vermeiden und glaubhaft kritisch zu bleiben. Seine fast absurde Solidarität mit den mittellosen Opfern indes steigert sich mitunter zu selbst verleugnender Identifikation.

Rund 200 bilder aus dem riesigen Konvolut sind nun in einer eindrucksvollen Ausstellung der Fotografischen Sammlung des Folkwang Museums versammelt, als gerahmte Papierabzüge und in einer vierspurigen Diaschau. Doch ist der ästhetische Blick auf seine Bilder ihm offenbar unbehaglich. Jacob Holdt, ganz alter Idealist, versteht sich trotz des Erfolgs im Kunstkontext und trotz einiger anderer aus nächster Nähe fotografierender Kollegen wie Nan Goldin oder Larry Clark, nicht als Künstler-Fotograf, sondern immer noch als Chronist und Aktivist: „Man kann von einer schwarzen Prostituierten an einem Tag mehr über die Gesellschaft lernen als aus zehn Vorlesungen an einer Universität.“ Die sozialen Widersprüche und die oftmals bizarren Situationen, in denen er sich als Anti-Vietnam-Kriegs-Demonstrant, als dänischer Tourist (mit Perücke und Schlips), als langhaariger Hippie-Vagabund, als Freund und Liebhaber von Huren und Mördern wiederfand, die Erfahrungen als Begleiter von Ku-Klux-Klan Anhängern, schwulen Pfarrern, Alten und Einsamen, prägten sein Menschenbild nachhaltig. Noch heute ist Jacob Holdt ein Kämpfer gegen Ungerechtigkeit, soziale Ausgrenzung, und rassistisch begründete Ablehnung.

Mit seiner Diaschau reist er durch US-amerikanische und europäische Schulen und Universitäten, beschreibt die Notwendigkeit, die gewonnenen Einsichten auch auf europäische Verhältnisse zu übertragen. Die neueren Fotoserien wie „African Pictures“ geraten ob ihrer farbenfrohen Schönheit allerdings bedenklich in die Nähe von Kitsch. Doch Holdt ist sich durchaus der Problematik seines Tuns bewusst: „Mein fotografisches Hobby ist alles in allem nichts anderes als eine Ausbeutung der Leiden und wird wohl niemals dazu führen, sie zu lindern.“

bis 3.6.2007 www.american-pictures.com