Ein Tag für Problemfans

Ein Jahr nach den schweren Ausschreitungen beim Oberliga-Spiel zwischen dem Halleschen FC und Sachsen Leipzig stehen sich die Clubs heute wieder gegenüber. Die Vorfreude hält sich in Grenzen

„Aus Spaß am Fußball kommt niemand mehr ins Stadion“

AUS HALLE MATHIAS LIEBING

Fotos von Dönerteller-Variationen hängen an der Wand. Der Fliesenboden blitzt, die Tische stehen akkurat in Reihe, und darüber grüßt stolz die Mannschaft des Halleschen FC vom Poster. Ob es bei den Heimspielen des HFC Probleme gibt, soll Cafer Yatmaz erklären, dessen Dönerspieß sich keine 300 Meter vom Mittelkreis des Kurt-Wabbel-Stadions entfernt dreht. „Nein, Probleme gibt es keine“, sagt er und ergänzt, dass die Leute in Halle friedlich sind. Ein paar schwarze Schafe habe man zwar, „aber das ist wie überall“, sagt der in Antalya aufgewachsene Kurde mit deutschem Pass, der seit 1992 in Halle lebt. Seit Jahren hat er eine Dauerkarte beim in der Oberliga versandeten ehemaligen Europapokalteilnehmer.

Yatmaz war vor einem Jahr im Stadion, als es nach dem Abpfiff des Oberliga-Spiels zwischen dem Halleschen FC und Sachsen Leipzig zu schweren Ausschreitungen kam. Hunderte Fans beider Vereine stürmten – teils unter Mithilfe des Sicherheitsdienstes – den Rasen. Zunächst waren nur einige Leipziger Anhänger – aus Frust über den in der 92. Spielminute gefallenen 2:2-Ausgleich – vom Zaun in den Innenraum gesprungen.

Doch nicht deshalb erregte die Szenerie vom 25. März 2006 bundesweites Aufsehen. Der Leipziger Spieler Adebowale Ogungbure war über die gesamte Spielzeit von etwa 50 Rechtsradikalen mit Affenlauten verunglimpft worden. Als nach dem Spiel die Fans aufeinander einschlugen und -traten, wurde auch der Nigerianer tätlich angegriffen. Schließlich baute er sich vor den Rängen auf und streckte den rechten Arm in die Höhe und formte mit zwei Fingern der anderen Hand einen Oberlippenbart. Es folgten Ermittlungen gegen den Fußballer wegen Zeigens verfassungsfeindlicher Symbole, die bald wieder eingestellt wurden – und es folgte ein ungeahntes Medienecho, das immer neue, bitterböse Höhepunkte hervorbrachte. So antwortete ein Stadionbesucher in Berlin Tage nach dem Spiel in Halle auf die Frage, was mit einem schwarzen Spieler, der einen Hitlergruß zeigt, zu tun sei, in eine ARD-Kamera: „Erschießen“. Seitdem wird der Hallesche FC gern genannt, wenn es um das ungelöste Gewalt- und Rassismusproblem in deutschen Fußballstadien geht.

Steffen Kluge leitet seit November 2006 als Straßensozialarbeiter das Fanprojekt der Stadt Halle. Zuvor arbeitete er mehr als zehn Jahre in den Problemstadtteilen Halles. Da, wo die Fans des HFC herkommen. „Aus Spaß am Fußball kommt niemand mehr. Das Gros der HFC-Fans sind sogenannte Problemzuschauer“, erklärt Kluge. Um die 1.000 Zuschauer kommen noch im Schnitt. Es sind vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, die sich im maroden Stadion tummeln. Kluge kennt sie. In neun von zehn Fällen stammen die jungen Männer aus problembehafteten Elternhäusern. Sie haben kaum berufliche Perspektiven und sind – wenn überhaupt – auf dem zweiten Arbeitsmarkt aktiv. Dazu kommen etliche Althooligans, die mit ihrer Verankerung im rechten Lager zum braunen Imageproblem der rot-weißen HFC-Fans maßgeblich beitragen und den Jugendlichen im Block schon mal sagen, wo es langgeht. Darüber hinaus gibt es knapp 200 Ultras, die versuchen, sich und den schlechten HFC-Fußball zu feiern.

Ganz normale Fußballfans meiden das Stadion immer mehr. Stattdessen laufen regelmäßig 100 bis 500 erlebnisorientierte Besucher aus Halle und Umgebung auf – sowie Fans der „befreundeten“ Clubs von Lok Leipzig oder Rot-Weiß Erfurt, die all jene Spiele besuchen, bei denen sie vor allem abseits des Fußballgeschehens etwas Action vermuten: Spiele wie am heutigen Samstag, wenn es zum neuerlichen Aufeinandertreffen des HFC mit dem FC Sachsen Leipzig kommt. Das ist ein Termin, der den Verantwortlichen des Oberligisten aus Sachsen-Anhalt seit Wochen kaum eine ruhige Minute lässt. Eine Sicherheitskonferenz jagt die nächste, mit den Fans wurden Foren organisiert, es wurde Imagearbeit gemacht, Antigewaltaktionen des Nordostdeutschen Fußballverbands umgesetzt und in Eigenregie und Aufwendung eigener Mittel um Wochen verlängert. Dennoch ist allen klar, was der stellvertretende Vorstandsvorsitzende und Pressesprecher Jörg Sitte ausspricht: „Wenn am Samstag 50 Leute durchdrehen wollen, die vielleicht nur aus diesem einen Grunde im Stadion sind, dann machen die das. Und unsere harte Arbeit war vergebens.“

Wie Hohn klingt es da für viele Vereine, wenn, wie nach den letzten großen Krawallen geschehen, Landespolitiker betonen, dass die Polizei zur Absicherung der Sportveranstaltungen an ihre Grenzen stoße und auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) offen wie selten Kritik an den Zuständen im Fußball-Osten übt. „Die sozialen Probleme, die in vielen Stadien zu Tage treten, auf die Fußballvereine zu reduzieren, wäre zu kurz gegriffen“, sagt Sozialarbeiter Kluge. Während er das sagt, sitzt er in einem inzwischen entkernten Gebäude. Es wird gerade saniert und soll ab der nächsten Saison fester Standort des Fanprojekts sein. Ein Haus mit Klubraum, einer Bar, Internetzugang und Beratungsstelle sowie einer großen Freifläche. Als Vorbild bezeichnet Kluge das Fanhaus des FC Carl Zeiss Jena, von wo aus beim Fußball-Zweitligisten aus Thüringen seit etwa zehn Jahren kontinuierliche und zielorientierte Fanarbeit gemacht wird.

Cafer Yatmaz steht in seinem Dönerladen. Eher beiläufig erzählt er, dass an den Spieltagen nur aus dem Fenster verkauft werde. Wiederholt sei die Inneneinrichtung demoliert worden. Ob es am Samstag beim Spiel gegen Leipzig wieder zu Ausschreitungen kommen werde? Er überlegt kurz: „Ja, bestimmt.“