Der Realist

Tischtennisveteran Jörg Roßkopf über die Bedeutung des EM-Titels mit der Mannschaft

INTERVIEW SEBASTIAN KRASS

taz: Herr Roßkopf, Sie haben gesagt, dass die jungen Spieler die Bedeutung des EM-Titels noch gar nicht begreifen können. Was meinten Sie damit?

Jörg Roßkopf: Ich habe 1990 mein erstes Finale gespielt. Dimitri Owtscharow war da gerade ein Jahr alt. Der weiß gar nicht, wie viel Energie man in so einen Titel reinsteckt. Für die Jüngeren war es einfacher, den Titel mal eben zu holen. Für mich ist es eine große Erleichterung, genauso wie für den Verband.

Sie hatten nur einen Einsatz, waren kein Stammspieler.

Damit musste man rechnen, ich habe gesagt, dass wir vier gleichstarke Spieler hinter Boll haben. Man muss akzeptieren, dass sich im Turnier eine Mannschaft herauskristallisiert. Ich fühle mich als Teil der Mannschaft.

Kommen die Jungen auch mal auf Sie zu und fragen: Rossi, hast du noch einen Tipp?

Das passiert schon öfters. Ich habe gegen viele schon sehr oft gespielt und kann da auch etwas weitergeben. Es war ja für die Jungen eine neue Situation. Die haben mitgekriegt, dass wir als Favorit in das Turnier gestartet sind. Gegen Polen im Halbfinale war es doch sehr eng, wir haben in jedem Spiel zurückgelegen. Da fragen mich die Jungen auch, wie sie damit umgehen sollen.

Hans Wilhelm Gäb, Ehrenpräsident des Tischtennis-Bundes, hat gesagt, mit Timo Boll, Christian Süß und Dimtri Owtscharow könne man bald auch die Asiaten angreifen.

Mit solchen Aussagen sollte man sehr vorsichtig sein, daran wird man bei der nächsten WM oder in diesem Fall Olympia gemessen. Natürlich haben wir mit Timo Boll einen Topspieler, der jeden Chinesen angreifen kann. Aber hintendran haben wir einen Jörg Roßkopf als Nächsten in der Weltrangliste auf Position 43. Und zwischen der Nummer 4 und der Nummer 43 stehen ungefähr zwölf Chinesen. Dann gibt es ja noch die Koreaner und Hongkong und viele kleinere Nationen in Asien, die sich mit irgendwelchen Chinesen verstärkt haben. Ich halte nicht viel von großen Kampfansagen, die von irgendwelchen Funktionären kommen.

Sie sind seit 20 Jahren exponierter Vertreter einer Randsportart. Wird Ihnen in letzter Zeit mehr Aufmerksamkeit zuteil?

Puh, schwer zu sagen.

Immerhin wirbt nun das Einzelhandelsimperium Metro mit Boll und Süß.

Der Vertrag ist auf die zwei Personen und den Verein Borussia Düsseldorf abgestimmt. Außerdem wurde er durch die Beziehungen von Hans Wilhelm Gäb nach vorn gebracht. Wir sind immer noch weit davon entfernt, dass ein Sponsor auf uns oder auf den Verband zukommt. Außerdem sind die Fernsehzeiten immer noch sehr schlecht. Die Bundesliga sieht man gar nicht, Champions League sehr wenig. Die EM läuft ein bisschen auf Eurosport. Aber ARD und ZDF zeigen sehr wenig von so einem historischen Finale. Wir haben eben das grundsätzliche Problem, dass die Schnelligkeit unseres Sports im Fernsehen nicht so gut rüberkommt.

Sind Sie desillusioniert?

Ich sehe es realistisch. Ich weiß, was 1989 los war nach unserem WM-Titel. Das war eine sehr große Zeit. Aber sonst waren wir nie groß im Fernsehen präsent, obwohl wir auch in den letzten Jahren großartige Erfolge hatten.

Die Strahlkraft dieses Mannschaftstitels sollte man also nicht zu hoch bewerten.

Mit Sicherheit nicht.

In zwei Monaten steht die WM an, vermutlich ihre letzte …

… das mit der letzten EM oder WM wird immer von den Journalisten gesagt. Mein großes Ziel ist Peking 2008, und danach werde ich überlegen, ob es das gewesen ist.

Nerven Sie die ewigen Fragen nach dem Karriereende?

Ich werde es einfach entscheiden. Über die Jahre hat mir da sicher mein realistischer Blick geholfen. Ich hatte immer eine ganz gute Mischung aus Selbstbewusstsein und dem Bewusstsein, dass es auch anders laufen kann. Es ist eben nicht immer alles schwarz-weiß, sondern irgendwo dazwischen.

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, dass Ihre Leistungen 2008 nicht für die Olympia-Nominierung ausreichen könnten?

Das kann passieren. Aber zurzeit bin ich noch der Zweitbeste in der Weltrangliste und habe auch ein paar gute Erfolge im Doppel erzielt – das ist bei Olympia auch wichtig. Das ist natürlich mein Ziel, auf das ich hinarbeite. Aber ich sehe das nicht so dramatisch, weil ich schon fünfmal Olympia hinter mir habe und in jeder Disziplin meine Medaille habe.

Kurz vor der EM hat Ihr Verein TTV Gönnern Ihren Vertrag gekündigt, weil nach dem Weggang von Timo Boll ein wichtiger Sponsor abgesprungen ist. Belastet Sie diese Situation?

Eigentlich gar nicht, weil ich viele Angebote vorliegen habe. Aber ehrlich gesagt, habe ich das auch nicht anders erwartet. Es gibt nicht mehr nur die Bundesliga, sondern auch viele Ligen im Ausland, und dort habe ich auch noch einen guten Namen. Aber wirklich verhandeln werde ich ohnehin erst nach der EM.