Chinesen mögen’s sauber

Ortstermin: Die chinesische Regierung schickt eine Delegation nach Berlin, um beim kommunalen Arbeitgeberverband vom deutschen Tarifsystem zu lernen. Ist das wirklich ein Modell für China?

VON FELIX LEE

Die Arbeitsplätze nehmen sie uns, fränkische und schwäbische Traditionsunternehmen kaufen sie auf, und marode Stahlbetriebe im Ruhrgebiet montieren sie ebenfalls ab, um sie 7.000 Kilometer weiter in ihrem Heimatland wieder aufzubauen. Nun wollen die Chinesen anscheinend auch noch das deutsche Tarifsystem abkupfern.

Ein Bürotrakt in Westberlin: Der Kommunale Arbeitgeber Verband (KAV) hat eine hochkarätige Delegation zu sich geladen. 15 Staatsbeamte des Personalwesens aus allen Teilen der Volksrepublik China verfolgen gebannt, wie KAV-Sprecher Michael Schröter geduldig das Einmaleins des deutschen Tarifsystems erklärt. „Euer Tarifsystem finden wir spannend, weil es so klar geregelt ist“, antwortet ein Delegationsteilnehmer auf die Frage, warum sich die chinesischen Behörden ausgerechnet für das deutsche System interessieren. Es sei so „solide“ und „stabil“, anwortet ein anderer. „In Deutschland ist alles so sauber und ordentlich.“

Damit will das „Reich der Mitte“ an eine Tradition anknüpfen, mit der das „Land der aufgehenden Sonne“ Ende des 19. Jahrhunderts begonnen hatte. Damals schickte der japanische Kaiser Hunderte von Schüler ins Deutsche Kaiserreich, damit sie vom preußischem Staatswesen lernen konnten.

Doch was das deutsche Tarifsystem der Berliner Republik im 20. Jahrhundert betrifft, scheint diese Kalkulation nicht ganz aufzugehen. „Kein einheitliches Tarifgefüge in Germany“, ist die Powerpointseite von KAV-Sprecher Schröter übertitelt. Über Tarifautonomie und Tarifvertretung referiert er. Und über öffentliche Betriebe, die zum Teil gar nicht mehr öffentlich und dennoch Mitglieder der KAV sind – Dolmetscher Zhu Li hat sichtlich Mühe, für die vielen tarifrechtlichen Fachbegriffe die korrekte chinesische Übersetzung zu liefern. Wissbegierig hören die Gäste aus dem Fernen Osten zu und fragen höflich nach, sobald sie etwas nicht verstanden haben. Zum Beispiel, warum es dem Kommunalen Arbeitgeberverband so wichtig ist, unabhängig vom Staat zu sein, wenn er doch die Interessen des Staates vertritt. Wieso Professoren verbeamtet sind, deren Mitarbeiter im wissenschaftlichen Mittelbau aber nicht. Und überhaupt: diese Vielzahl von Gewerkschaften. Allein der KAV verhandelt regelmäßig mit vier verschiedenen Gewerkschaften. „Das ist doch anstrengend“, murmelt ein Delegationsteilnehmer. In China gebe es den allchinesischen Gewerkschaftsverband der Regierung. Das würde doch genügen.

Für die größte Verwirrung sorgt eine Entgelttabelle der öffentlichen Angestellten, die Schröter mit einem Beamer an die Wand wirft. 15 unterschiedliche „Entgeltgruppen“, die wiederum nach sechs „Entwicklungsstufen“ vergütet werden – das überfordert selbst das Hirn der ansonsten für ihre Mathekenntnisse so berüchtigten Chinesen. Warum gibt es für die Arbeitnehmer Standardtarife, die hinterher dennoch frei ausgehandelt werden? Wieso gibt es hier keinen Mindestlohn? Wer legt nach welchen Kriterien fest, wer wie viel bekommt? Klingt da unterschwellig an: entweder Einheitslohn wie zu Maos Zeiten, oder wie in China heute: Der Markt entscheidet?

Der KAV-Sprecher hat sichtlich Mühe, zu erklären, dass die Tarifautonomie gesetzlich verankert ist, ein staatlicher Eingriff sich daher verbietet. Es dauert auch eine Weile, bis die Anwesenden verstanden haben, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberverband keineswegs auf einer Seite stehen, oder wie der Dolmetscher nett auf Chinesisch übersetzt: „Freunde sind“. „Es gibt unterschiedliche Interessen“, antwortet Schröter geduldig. Aber natürlich gehe es allen Seiten um das Wohl aller. Während einer Kaffeepause erzählt ein Anwesender: In China brauche man kein Streikrecht. Denn das politische System habe die Probleme zwischen Arbeitern und Unternehmern beseitigt.

Schröters Resümee am Ende des Vortrags: „Ein schön buntes Bild, das sie von unserem Tarifsystem erhalten haben.“