Einzig das Zweite

Mehr Online-Inhalte als die Privatsender, weniger Gremiendschungel als die ARD: Das ZDF zeigt sich bei den Mainzer Tagen der Fernsehkritik überraschend gut vorbereitet auf die Digitalisierung

„Wir müssen denen, die unsere Rechte verletzen, nur auf die Finger klopfen.“ Verena Kulenkampff, ARD-Unterhaltungskoordinatorin

VON HANNAH PILARCZYK

Die Antwort hat das Zeug, das „It’s the economy, stupid!“ der Medienbranche zu werden. Wer von der Digitalisierung des Fernsehens am meisten profitieren würde, wollte der Moderator von seiner Runde aus Pay-TV- und Onlineportal-Vertretern wissen: die Inhalteanbieter? Oder die Plattformbetreiber, also die, die Vertriebswege für die digitale Ware bereitstellen? Knapp antwortete der Google-Mann: „Na, der User!“

Damit war das Wichtigste von den 40. Mainzer Tagen der Fernsehkritik, der vom ZDF jährlich ausgerichteten Medienkonferenz, auch schon gesagt: Während sich TV-Stationen und Plattformen um Details wie die Senderreihenfolgen bei den digitalen Programmguides streiten, killen die User mit YouTube und Festplattenrekordern das lineare Fernsehen. Höchst aufschlussreich dagegen, wer von den deutschen Fernsehsendern schon verinnerlicht hat, dass man sich gelegentlich auch mal nach den Bedürfnissen der Zuschauer und der User richten sollte.

Und, was soll man sagen: Das ZDF macht alles richtig. Schon jetzt sind innovative Formate wie die Krimireihe „KDD – Kriminaldauerdienst“ oder der Astronauten-Quatsch „Ijon Tichy“ vorab im Internet zu sehen. Die Zahl der Fans, die die Telenovela „Wege zum Glück“ online verfolgen, summiert sich mittlerweile auf eine Million im Monat. Bis zur Eröffnung der Internationalen Funkausstellung am 1. September will das Zweite sogar 50 Prozent seines Programms online für insgesamt eine Woche kostenlos zur Verfügung stellen. „Eine Wunschzahl“, wie Programmdirektor Thomas Bellut zugab – denn noch müssten haufenweise Rechtefragen geklärt werden. Von den rund 4,2 Millionen Euro, die die Mainzer jährlich in ihr Internetangebot investieren, gehen laut Intendant Markus Schächter allein zwei Millionen Euro für Rechte drauf.

Ende 2008 dürften sich die Investitionen aber dramatisch erhöhen: Bislang schreibt der Rundfunkstaatsvertrag vor, dass die Öffentlich-Rechtlichen nur 0,75 Prozent ihres Budgets für Internet-Aktivitäten ausgeben dürfen. Mit dem neuen Vertrag, der Ende 2008 in Kraft treten soll, fällt diese Begrenzung – für ARD und ZDF ein Grund zum Feiern, für RTL, ProSiebenSat.1 und Co. ein Grund zum Zittern: In Großbritannien hat die BBC gezeigt, was passiert, wenn eine öffentlich-rechtliche Anstalt uneingeschränkt online investieren kann – sie dominiert durch ihr exzellentes Korrespondentennetz den Newsbereich und durch ihr überbordendes Archiv den Programmbereich.

Ob sich ARD und ZDF denn schon mal Gedanken gemacht hätten, was es heißt, wenn sie selbst unbegrenzt online investieren können, klopfte Focus.de-Chef Jochen Wegener zart an den Türen des ARD-Vorsitzenden Fritz Raff und des ZDF-Intendanten Markus Schächter an: Ob sie, die doch zur Vielfaltssicherung verpflichtet wären, dann nicht gerade für eine Monopolisierung sorgen würden? Passenderweise stellte der badenwürttembergische Ministerpräsident Günther Oettinger, aus undurchsichtigen Gründen der führende CDU-Medienpolitiker, am Ende der Tagung für die nächste Gebührenrunde auch noch eine „maßvolle Erhöhung“ in Aussicht.

Wegener musste stellvertretend für die Privatsender fragen, denn die scheinen angesichts der Digitalisierung komplett planlos zu sein. Ja, man gehe gegen die Video-Portale wie MyVideo vor, wenn dort unerlaubt RTL-Material gezeigt würde, sagte Constantin Lange von RTL Interactive. Wie konsequent man das in Köln verfolgt, ist angesichts der über 4.500 Schnipsel aus der RTL-Show „Deutschland sucht den Superstar“, die bis zum Redaktionsschluss noch auf MyVideo (ProSiebenSat.1) abrufbar waren, wohl noch eine andere Frage. Ebenso wie der Umstand, dass auf dem RTL-eigenen Portal clipfish.de die Urheberrechtslage auch nicht eben übersichtlich ist. „Wir stellen mit clipfish nur die Plattform für die User bereit“, rechtfertigte sich Lange.

Dass man bei den Privatsendern etwas kopflos agiert, ist nicht weiter verwunderlich: Nachdem die Verschlüsselung des Programms via Satellit und damit die Einführung der sogenannten „zweiten Gebühr“ gescheitert ist, fehlen ihnen die Perspektiven, wie sie angesichts der Fragmentierung von Publikum und Werbemarkt noch an Einnahmen kommen sollen. Dass man bei der ARD aber ähnlich desorientiert ist, erstaunt dann doch. „Wir müssen denen, die unsere Urheberrechte verletzen, einfach nur auf die Finger klopfen“, sagte Verena Kulenkampff, ARD-Koordinatorin für Unterhaltung und Vorabend. Außerdem werde man kaum mehr in teure Formate wie „Türkisch für Anfänger“ investieren – diese würden auf den PC-Screens der jungen ZuschauerInnen eh nur in einem Fenster unter vielen auftauchen.

Dass dies die Strategie des Ersten angesichts der Digitalisierung sein soll, sorgte im Plenum regelrecht für Entsetzen. Wahrscheinlich ist dies aber nur der Minimalkonsens, auf den man sich im Senderverbund bislang geeinigt hat – immer wieder klang in den zahlreichen Diskussionsrunden durch, dass die föderale Struktur der ARD ein durchgreifendes Vorgehen behindere. Von Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-aktuell, war nämlich ganz anderes zu hören: „Programmschemata werden schon bald keine große Rolle mehr spielen“, sagte er und auch: „Was in zehn Jahren noch vom linearen Fernsehen übrig bleibt, kann ich nicht sagen.“ Beruhigend beunruhigt, der Mann.