„Ein Handel mit den Frauenrechten“

MENSCHENRECHTE Der Aktivist Yayha al-Aous fürchtet, dass Syriens Präsident Baschar al-Assad auf die Islamisten zugeht, um die Proteste zu spalten

■ 36, ist Gründer der halblegalen NGO At-Thara in Damaskus, die sich der Aufklärung von syrischen Frauen und Mädchen widmet. Von 2002 bis 2004 war er wegen regimekritischer Artikel in Haft.

INTERVIEW SEIF AL-SHISHAKLI

taz: Herr Aous, wie sehen Sie die jüngste Entwicklung in Syrien?

Yayha al-Aous: Ich bin pessimistisch, darf aber die Hoffnung auf tatsächliche Reformen nicht aufgeben. Das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten schockiert uns alle. Verletzte und Ärzte werden im Krankenhaus erschossen.

Als Reaktion auf die Proteste hat Syriens Präsident Assad ein erst 2010 erlassenes Gesetz, das voll verschleierten Frauen die Arbeit im Bildungswesen untersagte, zurückgenommen. Wie bewerten Sie das?

Assad betreibt einen enttäuschenden Handel mit den Frauenrechten. Die Lehrerinnen haben viel Einfluss auf die Mädchen. Viele von ihnen werden sich nun verschleiern wollen. Dabei war diese Tradition in Syrien nie heimisch, sondern hat erst durch die Missionierungsbestrebungen der Saudis Anklang gefunden. Und während das einzige Kasino des Landes plötzlich geschlossen wurde, versprach Assad, eine islamische Hochschule einzurichten. Bisher waren Syriens Hochschulen ausschließlich säkular – wer islamische Religion studieren wollte, musste nach Kairo gehen.

Warum buhlt der Präsident so direkt um konservative Muslime?

Er hat Angst vor ihnen. Die Muslime sind die einzige Religionsgemeinschaft in Syrien, die sich regelmäßig – jeden Freitag – versammeln und Demonstrationen mit Tausenden von Teilnehmern durchführen kann. Und erstmals hat sich die Muslimbruderschaft wieder zu Wort gemeldet und ihre Unterstützung der Proteste ausgesprochen. Ich habe Angst, dass alles in die falsche Richtung entgleitet.

Wie stehen Christen, Drusen und Alawiten zu dieser Entwicklung?

Sie werden weiter eingeschüchtert. Sie sollen zum Staat halten und Angst bekommen, dass die Proteste nur zu einer Islamisierung des Landes führen.

Wie verhalten sich angesehene Geistliche zur Protestbewegung?

Ein Beispiel: Auf dem Hauptplatz des Viertels Jaramana, in dem hauptsächlich Drusen, Christen und seit einigen Jahren auch viele irakische Flüchtlinge leben und wir unser Büro unterhalten, gab es letzte Woche eine kleine Trauerkundgebung für die Toten der Demonstrationen. Einige Hundert kamen zusammen, wir zündeten Kerzen an und gedachten der Opfer. Bald wurde die Versammlung von jungen Männern in Zivil auseinandergetrieben. Es waren aktenkundige Kriminelle, denen Amnestie versprochen wurde, wenn sie an der Unterdrückung der Aufstände mitarbeiten würden. Sie hatten Schlagstöcke und Messer und bedrohten die Trauernden. Geistliche, die diese Taktik anprangerten, wurden in den folgenden Tagen von Mitarbeitern des Geheimdienstes aufgesucht. Ihnen wurden Versprechungen gemacht, wenn sie es schafften, ihre Schäfchen ruhig zu halten.

Engagieren Sie sich öffentlich?

Ich selbst habe keine Angst mehr vor dem Gefängnis – ich weiß, was mich erwarten würde. Allerdings bin ich jetzt verheiratet und Vater von zwei Töchtern, die mich brauchen. Und meine Arbeit ist mir zu wichtig: Sie muss getan werden, damit es zügig und konstruktiv weitergehen kann, falls es hier in einigen Monaten oder Jahren zu tatsächlichen Reformen kommen sollte. Gerade habe ich mit Rechtsanwälten einen Workshop zum Thema Menschenrechte abgehalten, hier in unserem kleinen Kellerbüro. Wir haben Fallbeispiele für die Verletzungen der Menschenrechte durch geltendes syrisches Recht zusammengetragen, haben Forderungen und Lösungsansätze formuliert. Doch natürlich ist es noch viel zu früh, diese Forderungen zu veröffentlichen!

Syrien rühmt sich seit 2005, seine Zivilgesellschaft zu fördern.

Die Zivilgesellschaft hier ist eine Farce. Die sogenannten Nichtregierungsorganisationen, die es gibt, werden zum großen Teil staatlich gesteuert und überwacht. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen etwa hat keine Arbeitsgenehmigung bekommen, denn der Staat fürchtet ausländische Spione oder Infiltratoren. Ein Thema echter NGOs und der Zivilgesellschaft wäre, sich wie wir etwa um die Abschaffung des traditionellen Geschlechterverständnisses zu kümmern. Immer noch werden Ehrenmorde kaum bestraft, Zwangsehen sind normal.

Auf welche Zukunft hoffen Sie?

Auf ein Syrien, in dem Bürger aller Konfessionen frei und ohne Angst an der Modernisierung und Gestaltung ihres Landes mitarbeiten dürfen. Und ich wünsche mir die weitere Verbreitung des Internets, damit Mädchen und Frauen in Notsituationen, besonders in ländlichen und konservativen Gegenden, die Möglichkeit haben, sich auf unserer Website zu informieren, dass sie nicht alles hinnehmen müssen, was die Familie von ihnen fordert.