berliner szenen Honigküsse

Baklava satt

Nichts ahnend geht man um eine Straßenecke und da steht er plötzlich vor einem, auf dem schmalen Bürgersteig vor seinem Laden. Graue Haare, faltige Wangen. Er schwitzt, denn er ist schwer beschäftigt: Mit beiden, vollen Händen verschenkt er Baklava. Jedem, der vorbeiläuft, drückt er eines der goldenen Gebäckstücke in die Hand, mit Mandeln und Pistazien. Wer Glück hat – und ich habe Glück – erwischt sogar eines mit Kardamom. Die Leute schauen auf das Kleinod in ihren Händen und wundern sich kurz. Sie schnuppern mal dran, dann beißen sie ab.

Der alte Mann aber macht keine Pause. Die Sonne bricht sich in dem Honig, der überall ist: Auf seinen großen Händen und an Fingern, Mündern und Wangen der Passanten. Sie grinsen verzückt – eine ganze Herde Honigkuchenpferde – und lecken sich die Lippen.

Ja, der Frühling ist da und er ist ausgesprochen süß. Auf einmal ist die Straße voller Pärchen, die die letzten Monate im Winterschlaf verbracht haben. Wer jetzt nicht sowieso schon Händchen hält, bleibt dank Baklava bei der nächsten Berührung aneinander kleben. Auch die Küsse werden länger, es klaut sich so schön ein Stück Nuss aus fremdem Mund.

Leere Backbleche stapeln sich neben dem Mann, der jetzt hektisch winkt. Mehr! Mehr!, ruft er in den dunklen Laden hinter sich. Ein dicker Mann mit weißer Schürze trägt zwei voll beladene Bleche mit goldenen Quadraten und Dreiecken nach draußen. Auch der alte Mann schiebt sich jetzt eines in den Mund. Dann schließt er für den Bruchteil einer Sekunde die Augen. Er schluckt, atmet einmal durch. „Baklava gibt Kraft“, sagt er und krempelt die Ärmel hoch. Da hinten kommt eine Schulklasse, es gibt viel zu tun.

LENA KATHARINA HACH