Wirtschaftsförderung mit Asphalt

Die Ostsee-Autobahn A 20 hat Mecklenburg-Vorpommern viele hundert Arbeitsplätze gebracht. Davon sind die Vertreter des Landes und der Gemeinden überzeugt, auch wenn sich der eine oder andere mehr von der neuen Autobahn erhofft hat

Die Ostsee-Autobahn A 20 ist im Dezember 2005 fertig geworden. Die 324 Kilometer lange Asphaltstrecke kostete 1,9 Milliarden Euro und verbindet Stettin mit Lübeck. Von dort aus soll sie in einem großen Bogen um Hamburg herum zur Elbe bei Glückstadt geführt werden. Wie sie in Niedersachsen weitergebaut werden soll, ist noch offen. Die ursprünglichen Pläne sahen vor, sie südlich von Hamburg mit der A 1 Richtung Bremen zu verknüpfen. Ebenfalls diskutiert wird ihre Fortsetzung als Nordseeküsten-Autobahn A 22 zum Wesertunnel zwischen Bremen und Bremerhaven. Auch zwischen Elbe und Weser würde die Autobahn durch ein schwach besiedeltes Gebiet führen. Dafür könnten die Laster auf einer Strecke von Polen nach Holland durchfahren. Während sich die Wirtschaft für die A 22 stark macht und einen Teil der Planungskosten übernommen hat, wehren sich viele Anwohner gegen das Projekt. KNÖ

VON GERNOT KNÖDLER

Wie viele Arbeitsplätze müssen entstehen, damit sich der Bau einer Autobahn gelohnt hat? In Mecklenburg-Vorpommern hat dazu vor gut einem Jahr ein Feldversuch begonnen. Im Dezember 2005 wurde die letzte Lücke auf der Ostseeautobahn bei Lübeck geschlossen. Viele Gemeinden entlang der Strecke hatten schon im Vorfeld Gewerbegebiete ausgewiesen. In den drei älteren Gewerbegebieten des Landkreises Nordwestmecklenburg arbeiten inzwischen mehr als 1.200 Menschen. Ein weiteres Gewerbegebiet bei Wismar ist bereit für Investoren. Der große Aufschwung steht aber noch aus.

„Wir spüren bei den Ansiedlungen, die geschehen sind und auch bei der Nachfrage, dass die A 20 ganz wichtig ist“, sagt Petra Rappen, die Sprecherin des Landkreises. Die Autobahn sei schon allein deshalb positiv, weil sie den Landkreis mit seinen 112.000 Einwohnern näher an den Ballungsraum Hamburg - Lübeck rücke. Davon profitierten Pendler und Touristen.

„Die Zahl der Gäste und vor allem der Kurzurlauber hat sich deutlich nach oben entwickelt“, bestätigt Gerd Lange, der Sprecher des Wirtschaftsministeriums in Schwerin. Und für den westlichen Landesteil sei festzustellen, „dass sich sehr viele Firmen im produzierenden und logistischen Bereich ansiedeln, die den Hamburger Hafen im Blick haben und Warenströme dirigieren, die weit über Mecklenburg-Vorpommern hinausgehen.“ Lange räumt aber ein, dass die Wirtschaft im Nordwesten des Landes noch am einfachsten zu entwickeln sei.

Zwei der drei großen A 20-Gewerbegebiete liegen direkt hinter der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein, sozusagen in Taxidistanz zu Lübeck. In Schönberg, wo die DDR gegen Devisen West-Müll entsorgte, sind nach Angaben der Wirtschaftsförderer 120 Arbeitsplätze entstanden. Unter anderem hat die Firma Lindal Dispenser aus Bad Oldesloe hier ein neues Werk gebaut.

„Man kann es nicht von der Hand weisen, dass die A 20 einen positiven Effekt hat“, sagt Bürgermeister Michael Heinze. „Es wird aber sicher nicht jemand nur wegen der Autobahn kommen.“ So habe bei der Ansiedelung von Lindal auch die Förderung eine Rolle gespielt, und dass Gemeinde und Kreis schnell baureifes Land zur Verfügung gestellt hätten. Seine Erwartungen seien „nicht so hoch geschraubt“ gewesen, sagt Heinze. Er hätte aber doch erwartet, dass die Lage direkt an der Autobahn mehr Investoren anlockt. Andererseits sei die Konjunktur in den vergangenen Jahren ja nicht besonders gut gewesen.

Noch näher dran an Lübeck liegt Lüdersdorf, wo die Firma Kamps eine ihrer 16 Großbäckereien gebaut hat. Sie betreibt nicht nur die gleichnamige Filialkette, sondern macht ihr Hauptgeschäft mit der Belieferung von Supermärkten. In Lüdersdorf legte Kamps zwei Bäckereien, die nicht vergrößert werden konnten zu einer mit 26.000 Quadratmetern Gebäudefläche zusammen. Das Richtfest war kurz vor Fertigstellung der Autobahn. „Für uns ist es wichtig, dass wir ganz schnell die Supermärkte beliefern können“, sagt Kamps-Sprecherin Christina Stylianou. 800 Läden werden allein von den 250 Bäckern in Lüdersdorf beliefert.

Das große Arbeitsplatz-Los hat der Weiler Upahl bei Grevesmühlen gezogen. 15 Unternehmen haben hier 800 Arbeitsplätze geschaffen. Darunter sind ein Lackierzentrum von Daimler Chrysler und die Molkerei Hansano. Letztere ist bereits 1994 gebaut worden, allerdings nachdem bekannt war, wo die künftige Autobahn verlaufen würde, wie Pressesprecher Roland Frölich versichert. Die Autobahn spart der Meierei Geld. Sie braucht weniger Lastwagen, weil sie jetzt rund um die Uhr Milch einsammeln kann. Auf der Bundesstraße 105 habe seine Firma früher tagsüber keine Milch transportieren können, weil sie so verstopft mit Touristen gewesen sei, sagt Frölich.

Auch die Hafenstadt Wismar profitiert von der Autobahn. „Wir hätten unsere Holzindustrie nicht, wenn wir die Autobahn nicht hätten“, sagt Andreas Nielsen von der Stadtverwaltung. 1.800 Menschen sind in der Branche und bei ihren Zulieferern beschäftigt. Die Arbeitsplätze seien zwar stärker mit dem Hafen verbunden, sagt Lange vom Wirtschaftsministerium, aber ohne A 20 kaum denkbar.

Die Autobahn lobten alle, sagt Maik Bahr, der Wirtschaftsförderer der benachbarten Kreisstadt Grevesmühlen, fünf Kilometer ab von der Autobahn. Er könne zwar aus seiner Stadt kein konkretes Beispiel für eine Ansiedlung nennen. „Gefühlt“ habe sich aber auf jeden Fall etwas verbessert.

Auch Bernd Karnatz, der Leiter des Amtes Rehna hofft noch, dass seine Kommune von der Autobahn einmal mehr haben wird als nur den Lastwagenverkehr zwischen der Ausfahrt Schönberg und Schwerin. Die 3.000-Einwohner-Stadt Rehna verhandle mit Investoren. Die müssten aber bereits sein, zehn Kilometer bis zur Autobahn zu fahren.