ÜBERRASCHENDER BESUCH
: Emotional wichtig

Ich vermute, man hat eine gewisse Schwingung aus meiner Stimme herausgehört

Wenn es bei uns im dritten Stock klingelt, drücke ich immer erst den Türöffner, reiße die Wohnungstür auf und rufe dann die 60 Stufen hinunter: „Hallo, wer ist da?“ In den meisten Fällen kommt von dort ein „Die Po-host“ oder ein „Ich bin’s, die Nachbarin“ oder etwas Ähnliches. Wenn man jedoch niemanden antworten hört, aber Schritte, die das Treppenhaus hinaufstapfen, handelt es sich entweder um Leute, die schlecht hören, oder aber um Menschen, die einen überraschen wollen – zum Beispiel meine Schwiegermutter, weil sie „zufällig gerade einen Kuchen gebacken hat“ und mit dem „zufällig gerade in der Gegend war“.

All das ist aber überhaupt nicht der Rede wert im Vergleich zu jenem Klingeln und dem Stapfen, das letzten Samstag zu uns hochkam. Ein Pärchen mit kleinem Kind. Er: Typ berufsjugendlicher Gemeindediakon, sie: Typ Waldorfschullehrerin in Elternzeit. Glückselig standen sie an der Tür und erklärten, hier, in genau dieser Wohnung, da hätten sie auch einmal gewohnt. Wie schön das sei, wieder mal hier zu sein! Den kleinen Pepe hätte das so interessiert, wo seine Eltern früher … und dann hab ich die drei reingelassen. Weil ich ein guter Mensch sein will.

Der kleine Pepe hat unseren Kindern wechselweise Spielsachen aus der Hand gerissen oder auf den Kopf gehauen, woraufhin seine Eltern ihn immer nur lieb anlächelten und sagten: „Ja, ja, das muss er wohl noch lernen.“ Wir stapften von Zimmer zu Zimmer, und im Gegensatz zu mir und meinen Kindern fanden sie es emotional sehr wichtig, hier zu sein. Und deshalb wollten sie auch einfach nicht mehr so recht gehen. Bis ich irgendwann sagte: „Ich möchte, dass Sie jetzt gehen.“ Ich vermute, man hat eine gewisse Schwingung aus meiner Stimme herausgehört.

Jetzt ist Schluss mit Guter-Mensch-Sein. Stattdessen wird endlich die kaputte Sprechanlage repariert. JOCHEN WEEBER