Rassismus nimmt zu

Die Aufregung war groß, als Uwe-Karsten Heye im Vorfeld der Weltmeisterschaft öffentlich vor „No-go-Areas“ für Menschen mit schwarzer Hautfarbe im Osten Deutschlands warnte. Übertriebene Panikmache wurde dem ehemaligen Regierungssprecher vorgeworfen, ein Imageschaden im Ausland befürchtet. Anlässlich der jüngsten Zahlen zu rassistische Straftaten in Deutschland wird deutlich: Heye hat Recht.

Der Verfassungsschutz zählt in seinem jüngsten Bericht bundesweit 15.361 rechtsextreme Straftaten im Jahr 2005 – gegenüber „nur“ 12.051 im Jahr davor. Bis zum Ende des Jahres 2007 erwarten Wissenschaftler den stärksten Anstieg rassistischer Straftaten in Deutschland seit dem Beginn ihrer Erfassung.

Vor dem Hintergrund dieser Zahlen warnen Politiker anlässlich des Internationalen Tages gegen Rassismus am heutigen Mittwoch vor dem Erstarken fremdenfeindlicher Einstellungen in Europa. Der 21. März wurde 1969 zum UN-Tag gegen Rassismus erklärt. Mit ihm erinnert die Internationale Gemeinschaft an eine Anti-Apartheid-Demonstration im südafrikanischen Sharpeville, bei der am 21. März 1960 69 Menschen rassistischer Polizeigewalt zum Opfer fielen.

Beate Winkler, Direktorin der Agentur für Grundrechte in der EU, fordert: „Angesichts des 50-jährigen Jubiläums der Europäischen Union kann niemand im Kampf gegen Rassismus neutral bleiben.“ Die EU hat 2007 zum „Europäischen Jahr der Chancengleichheit für alle“ erklärt, aktuelles Zahlenmaterial dokumentiert in vielen Bereichen das genaue Gegenteil.

Die „Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ (EUMC) dokumentiert seit Jahren fremdenfeindliche Einstellungen in den EU-Ländern. Für Winkler machen die aktuellen Zahlen deutlich, „dass Rassismus, Diskriminierung, strukturelle Benachteiligung, rassistische Gewalt und Belästigungen für viele Menschen nach wie vor eine Alltagserfahrung sind“. Dabei sind die Systeme zur Erfassung rassistischer Straftaten in jedem EU-Land unterschiedlich, die einzelnen Mitgliedstaaten untereinander deshalb nur schwer zu vergleichen. So weist der aktuelle Jahresbericht der EUMC für Großbritannien im Jahr 2005 zwar knapp 58.000 rassistische Straftaten aus, allerdings entscheiden die Opfer dort selbst, ob es sich um Übergriffe aus fremdenfeindlichen Gründen handelte. Anders stellt sich die Situation in der Bundesrepublik dar. Hier entscheidet der jeweilige Polizeibeamte, der eine Anzeige aufnimmt, ob die Straftaten aus rassistischen Motiven begangen wurden. Dementsprechend „niedrig“ fallen die Zahlen für Deutschland aus – rund 15.000 im Jahr 2005.

Da in einigen Ländern der EU – darunter unter anderem Spanien, Italien und Griechenland – überhaupt keine offiziellen Datenerhebungen durchgeführt werden, geht die EUMC in ihrer Studie davon aus, „dass das Problem des Rassismus in großen Teilen der EU vernachlässigt wird“. Die größte Gefahr, Opfer einer rassistischen Attacke zu werden, droht der Studie zufolge Asylsuchenden, Flüchtlingen und Migranten. Beunruhigend ist dabei laut EUMC die Tatsache, dass diese Gruppen verstärkt Übergriffen durch Amtspersonen – darunter auch Polizeibeamte – ausgesetzt sind. Der Flüchtlingsrat Brandenburg „kürte“ unlängst den Amtsarzt Uwe P. aus Brandenburg an der Havel wegen seines „unmenschlichen und unsensiblen Umgangs mit traumatisierten Menschen“ mit dem Negativpreis „Denkzettel des Jahres“. Der Mediziner hatte Gutachten von Fachärzten zur Reiseuntauglichkeit von Flüchtlingen als „Gefälligkeitsgutachten“ bezeichnet.

Bestätigt werden die Ergebnisse der EUMC unter anderem durch die monatlichen Anfragen der Linkspartei an die Bundesregierung über die aktuellen Opferstatistiken rassistischer Gewalt in Deutschland. Der jüngste Stand: 909 Straftaten allein im Januar 2007.

TIEMO RINK