Links, kultig und gut

Hugo Chávez und die Medien (3): Mit Telesur gibt es eine globalisierungskritische Alternative zu CNN. Doch beim neuen Venezuelaprogramm des Mehrstaatensenders droht der übliche Personenkult

„Damit wir uns integrieren können, müssen wir uns erst mal kennenlernen“

VON GERHARD DILGER

Telesur wächst und wächst. Gerade seit Juli 2005 ist der lateinamerikanische Satellitenkanal auf Sendung. Langsam, aber sicher entwickelt er sich zur ernsthaften Konkurrenz für „CNN en español“, der die spanischsprachige Community in den USA und Lateinamerika von Atlanta aus bedient. Doch während die Time-Warner-Tochter CNN das Selbstverständnis kultiviert, „nur auf der Seite der News“ zu stehen, versteht sich Telesur ausdrücklich als politisches Projekt.

Venezuelas Präsident Hugo Chávez wollte dem „Medienmonopol des Nordens“ schon lange eine Alternative entgegensetzen. Deswegen schlug er einen Fernsehkanal vor, mit dem auf der ganzen Welt „Informationen und Bilder des Südens“ empfangen werden könnten. Ähnliche Visionen hatten Fidel Castro und Tanzanias Expräsident Julius Nyerere schon vor Jahren – umgesetzt werden sie seit dem Sendestart im Juli 2005 dank der Erdöldollars aus Venezuela. Im Jahr 2006 kamen über 11 Millionen Dollar, der Großteil des Telesur-Etats, indirekt vom Staatsbetrieb PDVSA.

Mit der rosaroten Welle in Lateinamerika wächst die Anzahl der Teilhaber. Im vergangenen Jahr stieß das Bolivien des Evo Morales zu den Gründungsmitgliedern Venezuela, Kuba, Argentinien und Uruguay, letzte Woche Nicaragua. Ecuador wird demnächst folgen. Mit TV Brasil, dem spanischsprachigen Südamerika-Kanal der Regierung Lula, tauscht man Nachrichtensendungen und Dokus aus. „Wir folgen hier keiner Regierungslinie“, sagt Aram Arahonian dennoch. Der 60-jährige Uruguayer mit dem grauen Pferdeschwanz und der blauen Brille ist der Programmdirektor des Senders, der noch in der hintersten Etage eines Komplexes im Osten von Venezuelas Hauptstadt Caracas untergebracht ist, gleich neben dem Staatsfernsehen.

Auch wenn kritische Töne zu den Linksregierungen Lateinamerikas fehlen, umschifft Telesur bislang die Gefahren des Verlautbarungsjournalismus: Anders als in venezolanischen Staatssendern gibt es keinen Chávez-Kult, selbst wenn dessen Staatsbesuche in der Region oft durch lange Liveschaltungen begleitet werden. Zumindest für Venezuela, wo Telesur seit Anfang Februar frei empfangbar in die Haushalte flimmert, könnte sich das allerdings ändern: Dort soll der „nationale“ Sendeanteil auf täglich neun Stunden ausgedehnt werden. „Das ist ein eigenes Projekt, damit habe ich nichts zu tun“, sagt Programmdirektor Arahonian. Für die Venezuelavariante zuständig ist mit Andrés Izarra kein Unbekannter: Der 37-Jährige war nach Zwischenstationen beim Oppositionskanal RCTV und CNN zuletzt Chávez’ Informationsminister. Von Izarra stammt auch das Wort von der „Kommunikationshegemonie“, die die Chávez-Regierung in Venezuela anstrebt.

Im regionalen Kontext geht es aber auch um anderes. „Wir haben uns immer durch die Augen Europas oder der USA gesehen“, sagt Arahonian: „Dabei sind unsere Probleme und Erwartungen ähnlich. Damit wir uns integrieren können, müssen wir uns erst einmal kennenlernen.“ Beto Almeida, der Leiter des Büros in Brasília, sagt: „Kein anderer Sender spiegelt die Vielfalt Lateinamerikas, auch die politische, auch nur annähernd so differenziert wider wie wir“.

Neben der Zentrale in der venezolanischen Hauptstadt Caracas verfügt Telesur mittlerweile über Korrespondentenbüros in elf Ländern Amerikas, London und Madrid sollen in Kürze folgen. Säulen der Programmstruktur sind die einstündigen Nachrichtensendungen, die sich deutlich von denen auf CNN, BBC oder der Deutschen Welle unterscheiden. Mit Liveschaltungen und langen Interviews werden die wichtigsten Meldungen vertieft. „Wir arbeiten an einem neuen Zeitbegriff“, sagt Almeida. Bei Telesur sind 30-Sekunden-Häppchen eher die Ausnahme – und die Berieselung mit Aktienkursen unbekannt.

Zwar steht auch im Kernbereich die „große“ Politik im Vordergrund, und die Berichterstattung im Superwahljahr 2006 war recht konventionell. Doch im übrigen Programm kommt das ganze Spektrum der Globalisierungskritik zum Tragen, von Auslandsverschuldung über Gentechnik oder die Rolle multinationaler Unternehmen – aufgelockert durch Kultur- und Tourismusmagazine. Ein- bis zweimal in der Woche wird ein lateinamerikanischer Spielfilm ausgestrahlt – wenig, aber immer noch mehr als bei den meisten kommerziellen Sendern. Größtes Zugeständnis an den Massengeschmack sind die Sportnachrichten, Telenovelas überlässt man der Konkurrenz, kommerzielle Werbung fehlt ganz.

„Für eine gute Berichterstattung aus anderen Kontinenten fehlen uns noch die eigenen Quellen“, räumt Arahonian ein. Doch mit al-Dschasira und der BBC ist die Zusammenarbeit bereits angelaufen. Und zum vierten Jahrestag des Überfalls auf den Irak berichtet gerade erstmals ein eigenes Reporterteam aus Bagdad.

„Unser größtes Problem liegt in der Verbreitung, besonders in den USA, aber auch in Mexiko und Brasilien, wo es regelrechte Medienmonopole gibt“, sagt Arahonian. Die dortigen großen Kabelanbieter lassen Telesur außen vor, aber immer mehr unabhängige Regionalsender übernehmen Teile des Telesur-Programms. Siebzig Millionen potenzielle ZuschauerInnen gebe es bislang, real seien es eher fünf bis sieben Millionen. Auch in Europa ist Telesur bislang nur über Satellit zu empfangen – und über den Livestream im Internet.

Info: www.telesurtv.net