Wildwuchs im Pott

Betrogen oder verschludert? Das Land hat Fördermillionen an ein kriminelles Professoren-Netzwerk vergeben – dabei hätte die Politik von dem Treiben der Verdächtigen wissen können, sagen Insider

VON KLAUS JANSEN
UND MARTIN TEIGELER

NRW sucht die im Ruhrgebiet verschwundenen Forschungs-Fördermillionen. Nach taz-Informationen sind Landesrechnungshof, Justiz und Forschungsministerium auch nach der Festnahme von drei Professoren der Fachhochschule Gelsenkirchen im Unklaren darüber, wohin die 35 Millionen aus dem Landeshaushalt gewandert sind. Sowohl die Förderpraxis der alten rot-grünen Landesregierung wie auch das Verhalten der amtierenden schwarz-gelben Koalition stehen in der Kritik.

In der vergangenen Woche hatte die Polizei die drei FH-Professoren wegen Betrugsverdacht in U-Haft genommen (taz berichtete). Sie sollen seit Jahren für die Hochschule bestimmtes Geld von Land, Bund und EU auf Konten von Scheinfirmen umgeleitet und sich privat bereichert haben. Das Geld war unter anderem für den Bau des Unternehmensgründungs-Zentrums „Inkubator Emscher-Lippe“ vorgesehen. Anlass für die Ermittlungen ist laut Lokalpresse die Aussage des Gelsenkirchener Arztes Roland Schermer, der sich von der Belastung der Kollegen offenbar eine Strafmilderung in einem gegen ihn laufenden Steuer- und Bestechungsverfahren erhofft.

Der Landesrechnungshof wirft den Düsseldorfer Förderbehörden in einem internen Prüfbericht Schlamperei vor. Auch nach Ansicht ehemaliger Geschäftspartner der Gelsenkirchener Beschuldigten hat die Politik bei der Aufsicht versagt. „Da saß ein hoher Beamter des NRW-Finanzministeriums im Beirat“, sagt Karl Cammann, emeritierter Chemie-Professor an der Universität Münster und ehemaliges Vorstandsmitglied der Institut für Chemo- und Biosensorik GmbH. Sein Unternehmen sei in die Pleite getrieben und dann von einer der Gelsenkirchener Firmen übernommen worden, so Camann.

Fraglich ist, was FH-Rektor Schulte und der jetzige NRW-Verkehrsminister Oliver Wittke (CDU) von dem Treiben der Professoren wussten: Schulte steht dem Aufsichtsrat des Inkubators vor, dem auch Wittke zu seiner Zeit als Gelsenkirchener Oberbürgermeister angehörte. Sicher ist hingegen, dass alte wie neue Landesregierung gerne mit den Verdächtigen posierten: Erst im August 2006 besuchte Ministerpräsident Jürgen Rüttgers auf seiner Ruhrgebiets-Tour eine Einrichtung des Kronzeugen Schermer. Ein Foto der beiden wurde mittlerweile von der Homepage der Landesregierung gelöscht – „um Fehlinterpretationen vorzubeugen“, erklärt die Staatskanzlei.

Die Rüttgers-Regierung sieht die Versäumnisse bei der Mittelvergabe jedoch bei ihren Vorgängern. Die wiederum weisen alle Vorwürfe zurück: „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass jemand so leichtfertig war“, sagt der frühere Wirtschaftsminister Harald Schartau (SPD). Allein sieben Millionen Euro sind aus seinem Haus in nach Gelsenkirchen geflossen. „Sowohl das Land als auch die Stadt und die FH haben das Projekt hochgehandelt“, sagt er. „Dass ausgerechnet dort Geld verschwunden ist, ist eine Katastrophe.“ Die gesamte Förderpolitik der alten rot-grünen Landesregierung will der Sozialdemokrat jedoch nicht in Frage stellen: „Bislang sehe ich keinen Grund, aus diesem Anlass zu verallgemeinern.“

Die Ermittler stellen sich hingegen auf Mehrarbeit ein: Täglich werden über die Presse neue Verdächtige aufgeführt, die gesamte NRW-Förderpolitik der vergangenen Jahre rückt ins Zwielicht. „Im Moment passiert hier so viel, dass wir kaum noch hinterherkommen“, sagt der Bochumer Staatsanwalt Bernd Bienioßek. Bislang sei aber noch kein Ermittlungsverfahren gegen weitere Personen eingeleitet worden: „Noch ist nicht absehbar, was sich an Verquickungen ergibt.“ Insider Cammann sagt: „Das erinnert sehr an den HDO-Skandal.“ Die Subventions-Affäre um das gescheiterte Oberhausener Trickfilmstudio hing SPD-Ministerpräsident Wolfgang Clement bis zu dessen Ausscheiden aus dem Amt nach.