Agenda 2010
: Lebensqualität statt Kulturgenuss

PETER ORTMANN ist Kulturchef der taz nrw. Er arbeitet stetig, aber chancenlos an seiner sozialen Plastik.

Come on baby, light my fire

Come on baby, light my fire

Try to set the night on fire. (Doors)

Es war einmal ein junger Hirte, der lebte ein beschauliches Leben, erlegte hier und da mal ein Wild, das er am liebsten knusprig gebraten aß. Er wusste natürlich noch nichts von Gourmetgenuss und Gabelzwang und hatte auch nie etwas von Fernsehköchen gehört. Der Glückliche lebte in einem herrlichen Wald zwischen zwei Flüssen und eigentlich hatte er ein super Leben. Er konnte im Mittelalter nicht wissen, dass er ein Jahrtausend später die Marke Kulturhauptstadt Europas an die Ruhr holen sollte. Und nur weil er abends auf einer Wiese ein Feuerchen anzündete, noch ein kleines hölzernes Amulett schnitzte und dann einschlief.

Die Legende ist bekannt. Am anderen Morgen brannte das Feuer immer noch wegen den schwarzen Wundersteinen in der Erde. Der Knabe wurde bekannt, machte die erste Kohle mit Kohle im Tagebau. Neue Feuerkultur nannte man das bestimmt damals. Es folgten die bekannten Folgen. Der Wald ist weg. Das Amulett verrottet. Feuerkultur mit Kohle machen nur noch mächtige Konzerne, für den Rest gibt es ein bisschen Stütze. Vielen Dank namenloser Knabe. Hättest vielleicht auch woanders pennen können. Das Ruhrgebiet wäre dann heute vielleicht die grüne Lunge des Landes und nicht schwarzgelbes Strukturwandel-Land. Was im feudalen System Mittelalter begann, hat im Feudalsystem Kapitalismus geendet. Kausalität ist Kausalität. Und auch Holz-Amulette helfen bei der 48 Millionen Euro schweren Abfackelkultur im Revier nicht mehr. Was können wir daraus lernen? Natürlich nichts.

Kultur hat nichts mit Pädagogik zu tun. Eine Million Schüler-Geigen erzeugen keinen Paganini, hunderte Theaterbühnen keinen Kinski und ein Jahr Kulturhauptstadt keine Kulturlandschaft. Wo sind also die Konfliktlinien? Off-Kultur versus bürgerliche Kunst-Events? Heimische Künstler gegen Eingekaufte? Alles Quatsch, im Grunde sind das nur falsche Projektionsflächen. Die Menschen im Ruhrgebiet und ihre Lebensumstände sind das einzige, was zählt. Vielleicht sollte man einfach die Fördermillionen der Kulturhauptstadt 2010 in die Hand nehmen und in die Landschaftspflege stecken, neue grüne Parks mitten in den Städten anlegen oder gesunde Obst-Alleen anpflanzen. Denn nur in einem schönen Umfeld kann sich die soziale Plastik Mensch entwickeln. Vielleicht kämen einige dann auf ganz neue Gedanken zu einer ganz anderen Gesellschaft. Ohne den Zwang zur Selbstausbeutung, ohne den Frau oder Mann ja nicht mal mehr eine Theaterkarte kaufen kann. Vielleicht ist das die Chance auf Wandel durch Kultur – Lebensqualität für alle. Wie damals an der bewaldeten Ruhr.

PETER ORTMANN