LESERINNENBRIEFE
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„Innere Krankheit“ der Nationen

■ betr.: „Das Unglück der anderen“, taz vom 8. 4. 11

Philipp von der Meden hat Recht, wenn er das Interventionsverbot bei Bürgerkriegen für den „Ausdruck eines veralteten dogmatischen Rechtsverständnisses“ hält. In seinem Entwurf „Zum ewigen Frieden“ schreibt Kant, eine „Einmischung äußerer Mächte würde Verletzung der Rechte eines nur mit seiner inneren Krankheit ringenden Volkes, selbst also ein gegebenes Skandal seyn und die Autonomie aller Staaten unsicher machen“.

Schon als die Vietnamesen in den siebziger Jahren in Kambodscha einmarschierten und Pol Pots Massenmord beendeten, hätten die UN, damals auch noch die USA, das nicht verurteilen dürfen. Der Einmarsch hat Tausenden das Leben gerettet. Zur Entschuldigung des Aufklärungsphilosophen muss man aber sehen, dass er wohl von Staatsverbrechern wie den Steinzeitkommunisten in Südostasien und jetzt Gaddafi noch nicht wissen konnte. Sonst hätte er nicht nur von einer „inneren Krankheit“ sprechen können, wenn so rücksichtslos das eigene Volk den Machtinteressen geopfert wird. Afghanistan und der Irak stehen allerdings auf einem andern Blatt. Da frage ich mich, ob es nicht, ganz im Kant’schen Sinne, besser gewesen wäre, wenn man diese Nationen selbst mit ihrer „inneren Krankheit“ hätte fertig werden lassen. JOACHIM LANGE, Rostock

Kulturimperialistischer Neusprech

■ betr.: „Die nächste Stufe der Libyen-Intervention“, „Das Unglück der anderen“, taz vom 8. 4. 11

Der Titelkommentator Dominic Johnson lastet die Gewaltausübung durch die libyschen Rebellen der Gewalt des Diktators Gaddafi gegen sein Volk an: das altbekannte Schema, mit dem sich schon jeder Krieg, jede bewaffnete Parteinahme gerechtfertigt hat: „Haust du meine Tante …“. Dann lässt er ein äußerst eurozentrisches Verständnis von den Zuständigkeiten unserer Auffassungen von Menschen-Recht und -Ordnung erkennen. Er sieht kein Problem darin, dass die LibyerInnen nicht nur am Geschützfeuer der Gaddafi-Armee, sondern auch an der Munition und den Bomben sterben sollen, die laut UN-Resolutionen zu „humanitären“ Zwecken, ihrem Überleben, auf sie abgefeuert werden. Welch eine perverse Argumentation.

Bei der Lektüre des Rechts-„Philosophen“ und Strafrechtlers Herrn von der Meden, der auf der Meinungsseite die Idee der Souveränität von Staaten als Kant’sche Allmachtsfantasie brandmarkt, wird dann endgültig klar, dass wir uns im Zeitalter des kulturimperialistischen, militaristischen Neusprech befinden: Der europäisch-westliche Humanismus soll als Diktat und nicht nur als Idee der Welt übergestülpt werden und muss als Grundrechtscharta für jeden Verstoß gegen das Leben und die Integrität anderer herhalten.

Diese Art von Generalisierung einer Moral, eines Wertesystems, ist ein Imperialismus allerhöchster Ebene und daher noch sehr viel verwerflicher, als es die Idee der Befreiung der afghanischen Frauen von Burka, Beschneidung und Ehrenmord sein konnte. Gemetzel kann niemals durch Gemetzel beendet oder wiedergutgemacht werden. Denn wer über die Normen der anderen wegbügelt, erntet Hass. Wer um der eigenen Rohstoffsicherheit willen Menschenleben vernichtet – und habe er dabei auch das humanitäre Deckmäntelchen an –, führt Krieg und erntet Krieg. Die „Friedensmissionen“ am Hindukusch folgten bereits dieser perversen Denke, die Herr von der Meden nun für Libyen noch zur allein selig machenden philosophischen Maxime erheben will. Entschuldigung, aber dieser „Humanismus“ ist schlicht widerlich und menschenverachtend. Wer macht sich denn noch andere als strategische und militärische Gedanken, wer machte sich für ein wirkliches, ernstgemeintes Embargo stark? Lange nach Beginn der libyschen Kampfhandlungen, lange auch nach dem ersten Eingreifen von europäischen Jets erfuhr ich beiläufig, dass es bis dato noch nicht einmal ein funktionsfähiges Waffenembargo gegen den Machthaber gegeben hat – geschweige denn ein Ölembargo auch nur angedacht wäre. PETER KOLDITZ, Marburg

Das Land muss attraktiver werden

■ betr.: „Ärztemangel“, taz vom 9. 4. 11

Im Allgemeinen liebe ich eure Kommentare, weil sie sich durch Bissigkeit und Aktualität vom Mainstream der Kommentare anderer Zeitungen abheben. Dieser Kommentar hat mich allerdings geärgert, weil er lediglich die gängigen Klischees bedient.

Sie schreiben, die ärztliche Vergütung richte sich „einzig“ nach dem Versichertenstatus des Patienten. Das ist nicht wahr. Problematisch ist auch die schlechte Vergütung der Hausärzte und Assistenzärzte der Krankenhäuser. Eine Leistung, die schlecht oder gar nicht bezahlt wird, ist die umfassende Beratung, Anamnese und Aufklärung der Patienten. Dies bezieht sich vor allem auf die schlechter verdienenden, weil kränkeren Patienten. Es gibt viele Ärzte, die auch diesen Auftrag ärztlichen Handelns durchaus ernst nehmen.

Im Übrigen ist diese Leistung bei vielen Krankheiten die Wichtigste, weil sie, wenn sie erfolgreich ist, teure Diagnostik und Behandlung spart. Sie wird nur nicht honoriert und nicht vergütet.

Berührungsängste von „Akademiker-Kindern“ und „Hartz-IV-Kindern“ auf dem Land sind wohl weniger das Problem als auch die schlechtere Schulversorgung dort. Denn auch Lehrer möchten aus ähnlichen Gründen nicht aufs Land wie Ärzte. Richtig ist, dass man ländliche Regionen attraktiver machen sollte, für alle. Es stimmt, dass Ärzte gern auf hohem Niveau jammern, aber „Rekordhonorare“ werden in diesem Land woanders verdient. Das Startgehalt eines Assistenzarztes im Krankenhaus liegt auch heute noch bei rund 1.800 Euro, und viele Hausärzte verdienen nicht mehr. Dafür haben sie viele Wochenend- und Nachtdienste und fahren hunderte von Kilometern zu ihren verstreut wohnenden Patienten. KATJA SCHIPPEL