Krieg der Worte und Taten

GRENZÜBERSCHREITEND Die Meldungen aus Kiew über einen russischen Einmarsch werden immer dramatischer, EU und USA äußern sich extrem besorgt. Doch Moskau wiegelt ab

„Jetzt sind wir Zeugen einer neuen Ente“, heißt es aus Moskau

KIEW/BRÜSSEL taz/rtr/afp | Die ersten Meldungen über eine immer stärkere russische Aggression in der Ukraine kamen aus den USA. Die Regierung in Washington hatte Moskau in der Nacht zum Donnerstag vorgeworfen, offenbar eine Gegenoffensive der prorussischen Separatisten in der Ostukraine zu „lenken“.

Im Lauf des Tages wurden die Meldungen immer alarmierender – vor allem aus Kiew. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko beklagte in einer Erklärung, dass „russische Soldaten in die Ukraine geschickt wurden“. Wegen der „scharfen Zuspitzung“ der Lage habe er eine Türkei-Reise abgesagt und den nationalen Sicherheitsrat einberufen. Der Präsident forderte überdies eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates, die für den Abend (deutscher Zeit) einberufen wurde.

Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin wirft Russland vor, mit russischen Fallschirmjägern und anderen Soldaten sein Land „und die ganze Welt“ in einen Krieg hineinzuziehen. Die Lage habe sich dadurch dramatisch geändert. Er erwarte daher von Europa eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland sowie militärische und technische Hilfe.

Nach Angaben der Nato stehen mindestens 1.000 gut ausgerüstete russische Soldaten auf dem Gebiet des Nachbarlandes. Diese seien in direkten „Kontakt“ mit ukrainischen Einheiten gekommen, was zu Verlusten geführt habe. Der britische UN-Botschafter Mark Lyall Grant sagte: „Es ist ziemlich klar, dass jetzt reguläre russische Truppen in der Ukraine sind.“ Russland müsse den Grund dafür erklären. Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin sagte zu Reportern lediglich: „Sie sind ratlos.“

Die EU-Kommission wollte die Berichte aus Kiew über eine russische „Invasion“ zunächst nicht kommentieren. Sie ließ jedoch erklären, sie sei „extrem besorgt über die jüngsten Entwicklungen am Boden“. Am Wochenende würden sich sowohl die Staats- und Regierungschefs als auch die Außenminister mit der Krise in der Ukraine befassen, sagte eine Sprecherin von Außenvertreterin Catherine Ashton. Zuvor empfängt Kommissionschef José Manuel Barroso den ukrainischen Staatspräsidenten Petro Poroschenko in Brüssel. Dabei soll es auch um weitere EU-Hilfen für Kiew gehen.

Ashton und EU-Energiekommissar Günther Oettinger hatten in dieser Woche vergeblich versucht, zwischen Poroschenko und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu vermitteln. Nach dem Treffen in Minsk gab sich Oettinger ungewöhnlich pessimistisch. Die EU müsse sich nun auch auf eine Eskalation im Gasstreit einstellen, sagte der CDU-Politiker. Er erwarte zwar nicht, dass Russland oder das Transitland Ukraine den Gashahn zudrehten. Man müsse sich aber auf den Ernstfall vorbereiten. Polens Außenminister Radoslaw Sikorski warf Russland ein aggressives Vorgehen in der Ukraine vor. Es handle sich um die schwerste Sicherheitskrise seit Jahrzehnten.

Der russische OSZE-Vertreter Kelin widersprach den Darstellungen aus Kiew und den Meldungen über die Einnahme ukrainischer Städte durch russische Truppen: „In Nowoasowsk ist die ukrainische Armee nach zehn Artillerieschüssen weggelaufen und hat das Feld kampflos den Separatisten überlassen – das ist alles, was passiert ist“, sagte Kelin unter Berufung auf den Bürgermeister der Stadt Nowoasowsk.

Die Separatisten in der Ostukraine warfen der Ukraine Desinformation vor. „In Kiew wiederholt man sich mit dem Einmarsch, um die Niederlagen der ukrainischen Armee irgendwie zu erklären.“ Russische Abgeordnete kritisierten: „Wir haben schon mehrere Erklärungen der ukrainischen Führung gehört, die sich als Lügen erwiesen haben. Jetzt sind wir Zeugen einer neuen Ente“, sagte etwa Jewgeni Serebrennikow vom Föderationsrat in Moskau.