„Praxisgebühr“ auf persisch

Es geht auch ohne weißen Kittel: Das Kinder- und Familienzentrum in Hamburg-Schnelsen bildet Migranten zu interkulturellen Gesundheitsmediatoren aus. Diese sollen ihren Landsleuten helfen, sich im deutschen Gesundheitssystem zurechtzufinden

von JULIA BRODERSEN

Auf der Theke stehen zwei Pappteller mit Schokoladen- und Zitronenkuchen. Daneben eine Kanne Kaffee – und ein großer weißer Zahn aus Plastik. In der Praxis von Zahnarzt Mohammad Taghi Kashi im Hamburger Stadtteil Bramfeld wird heute aber nicht gebohrt, sondern gelernt. Der Kuchen und Kaffee sind für Morassah Massloumsaki-Schütt und die Teilnehmer ihres Gesundheitskurses zum Thema HIV/Aids. In den nächsten eineinhalb Stunden wird sie über den Virus sprechen – und ein bisschen auch über das allgemeine Gesundheitssystem in Deutschland. Aber nicht auf deutsch, sondern auf Farsi. Das ist ihre Heimatsprache – und die ihrer Teilnehmer.

Morassah Massloumsaki-Schütt ist eine von mehr als 200 interkulturellen Gesundheitsmediatoren in Deutschland. Ihre Ausbildung dazu hat sie am Kinder- und Familienzentrum (Kifaz) in Hamburg-Schnelsen gemacht. Das Kifaz gehört seit April vergangenen Jahres dem bundesweiten Gesundheitsprojekt „Mit Migranten für Migranten“ (MiMi) an, das der Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK) und das Ethno-Medizinische Zentrum Hannover (EMZ) 2003 ins Leben rief. Im Rahmen von fünfzigstündigen Schulungen werden Migranten zu Gesundheitsmediatoren ausgebildet, die später wiederum andere Zugewanderte über Gesundheitsthemen aufklären. „Mit Hilfe der BKK-Inititative gelingt es uns Migranten nachhaltig für ihre aktive Gesundheitsvorsorge zu motivieren“, sagt Kerstin Römhildt, Hamburger MiMi-Koordinatorin.

MiMi vorausgegangen war eine Initiative der BKK, die sich mit den Gesundheitschancen von Migranten befasste. Demnach sind diese in vielen Bereichen benachteiligt, wenn es um das deutsche Gesundheitssystem und seine Angebote geht. Geringe Sprachkenntnisse, kulturelle Barrieren und mangelndes Wissen sind oft Gründe dafür, dass Vorsorgeuntersuchungen weniger wahrgenommen werden. Hier knüpfen die GesundheitsmediatorInnen an, indem sie medizinisches Wissen in ihrer Landessprache vermitteln. So können sie auch eigene Erfahrungen mit einbringen. Ende Februar hat das Hamburger Amt für Gesundheit und Verbraucherschutz bereits den zweiten MiMi-Ausbildungsgang des Kifaz ausgezeichnet: 28 zukünftige Gesundheitsmediatorinnen erhielten ihr Zertifikat.

Bei Mohammad Taghi Kashi werden die Stühle aus dem Wartezimmer in den Vorraum gerückt. Rund zwanzig Frauen und ein Mann nehmen in den zwei Reihen Platz. „Ich freue mich, dass Sie Interesse an diesem Kurs haben“, beginnt Massloumsaki-Schütt. „Mit diesen Worten verabschiede ich mich auch schon von der deutschen Sprache.“

Zahnarzt Kashi hat die Stimmung unter den Teilnehmern rasch erfasst. „Ich merke, dass hier viele fast nichts über die Krankheit wissen.“ Indem er seine Praxis für den Kurs zur Verfügung stellt, möchte er das Projekt unterstützen – und zahlt dafür etwa 75 Euro. Denn für die Teilnehmer sind die Kurse kostenlos. Auch Patientinnen Kashis sitzen in den Stuhlreihen. Nachdem Massloumsaki-Schütt ihn gefragt habe, „ob ich Interesse daran hätte, diesen Kurs hier stattfinden zu lassen, habe ich natürlich in der Praxis etwas Werbung gemacht“, sagt Kashi, der ursprünglich aus dem Iran kommt. Dass bei vielen Migranten großes Unwissen über Gesundheit und Vorsorgeuntersuchungen herrsche – gerade auch bei der Mundhygiene –, merke er selbst auch im Arbeitsalltag.

Mundgesundheit und Aids sind neben dem Umgang mit Medikamenten, dem deutschen Gesundheitswesen, Ernährung, Alkoholkonsum und Seelischer Gesundheit die Themen, in denen die zukünftigen Gesundheitsmediatoren von Ärzten und Mitarbeitern des EMZ ausgebildet werden. Die Auswahl orientiert sich an der jeweiligen Lebenssituation der Teilnehmer. So greift der Kurs „Seelische Gesundheit“ unter anderem die psychischen Belastungen auf, die bei vielen Zuwanderern mit der Trennung von Familienangehörigen einhergehen. Für MiMi ist es wichtig, dass das Kursangebot überhaupt bekannt ist und sich Betroffene auch aus eigener Initiative anmelden.

Morassah Massloumsaki-Schütt geht da zielgerichtet vor: „Ich suche mir extra Kursorte aus, wo ich weiß, dass dort viele Migranten sind oder hingehen.“ Ihre letzten Kurse zum Thema Ernährung und körperliche Bewegung hat sie in einem afghanischen Restaurant und in einer persischen Physiopraxis angeboten. Dort seien alle Plätze besetzt gewesen, erzählt sie. Dagegen sei das Thema Aids bei vielen noch ein Tabuthema, „wovor man große Angst hat“, sagt Massloumsaki-Schütt, die in Persien Allgemeine Hygiene und anschließend in Hamburg Sozialpädagogik studiert hat.

Auf der Folie, die sie jetzt auflegt, demonstrieren zwei Strichmännchen die Übertragungswege des HI-Virus. Die Mediatorin verteilt Kondome. Ein Mädchen mit Kopftuch verschränkt die Arme und weigert sich, das silberne Tütchen entgegenzunehmen. Für Massloumsaki-Schütt ist das normal. „In jedem HIV-Kurs habe ich Teilnehmerinnen die noch nie in ihrem Leben ein Kondom in der Hand hatten.“

Infos: www.bkk-promig.de; www.kifaz-schnelsen.de