„Es mangelt hier einfach an Ärzten“

WAHL-INTERVIEW (FOLGE 4) Allgemeinärztin Anke Fielitz wünscht sich bessere Bedingungen für Mediziner auf dem Land. Im Vogtland fühlt sie sich als Hausärztin überfordert und von der Politik im Stich gelassen

■ 47, arbeitet in Reichenbach im Vogtland als Allgemeinärztin. Für die Region stellten Ärzte und Krankenkassen im Frühjahr fest, dass eine Unterversorgung droht.

taz: Frau Dr. Fielitz, gehen Sie wählen?

Anke Fielitz: Ja.

Was erwarten Sie von der Wahl?

Ich wünsche mir eine Partei, die ein Interesse für Hausärzte mitbringt und zumindest versucht, die Situation zu stabilisieren.

Es läuft also nicht so gut?

Nein. Das größte Problem in Reichenbach im Vogtland besteht darin, dass innerhalb eines Jahres drei hochfrequentierte Hausarztpraxen ersatzlos geschlossen wurden. Die Patienten mussten sich also alle einen neuen Hausarzt suchen.

Die landen dann bei Ihnen?

Zum Großteil ja – denn viele Patienten haben schon mehrere Arztwechsel hinter sich. Sie suchen sich also auch bewusst Ärzte aus, die nicht kurz vor der Rente stehen. Viele Ärzte, die noch praktizieren, sind bereits im Rentenalter. Das heißt, dass mit weiteren Schließungen zu rechnen ist. Es mangelt hier einfach an Ärzten. Im Moment haben wir praktisch keinen Nachwuchs.

Woran liegt das?

Vor allem an den Rahmenbedingungen. Es geht nicht um Lust oder Motivation, aber alle Hausärzte sind zahlenmäßig am Limit beziehungsweise darüber. Durch die knappen Medikamentenbudgets und unsägliche Zeitbudgets wird es fast unmöglich gemacht, unserer Arbeit richtig nachzugehen.

Was bedeutet Zeitbudget?

Praxen, die 1.000 Patienten versorgen, haben das gleiche Zeitbudget wie Praxen mit 2.000 Patienten. Mir stehen im Quartal zum Beispiel 720 Stunden zur Verfügung. Für jede Leistung wird mir ein bestimmtes Maß an Zeit abgezogen. Wenn ich diese Zeit überschritten habe, dann muss ich Stellung nehmen, warum ich sie überschritten habe und warum ich so viele Patienten betreue. Das bereitet uns am meisten Probleme. Denn dazu kommen noch Kassenanfragen wegen Krankschreibungen und Verordnungen von Pflegeleistungen. Diese ganzen Anfragen beantworte ich immer an meinem Wochenende.

Machen Sie auch Hausbesuche?

Ja, klar. Das gehört als Hausarzt einfach dazu. Ich fahre sowohl regelmäßig zu Patienten, die nicht in die Praxis kommen können, als auch zu Menschen, die akut Probleme haben. Auch im Bereitschaftsdienst, am Wochenende und in der Nacht.

Wie oft fahren Sie denn zu Menschen nach Hause?

Das ist immer unterschiedlich. So fünfzig Hausbesuche in der Woche sind es schon – das ist aber nicht alles, dazu kommen noch die normalen Sprechzeiten in der Praxis. Wenn ich nicht hier in der Praxis bin, mache ich kein Wellness, sondern dann bin ich bei den Leuten zu Hause oder in Pflegeheimen. Eine Vierzig-Stunden-Woche hat hier niemand.

Was müsste sich denn ändern?

Es wäre schön, wenn es weniger Bürokratiekram gäbe. Das Zeitbudget ist unmöglich einzuhalten.

Verraten Sie uns noch, wen Sie wählen?

Das Herz schlägt links.

INTERVIEW: JASMIN KALARICKAL