Keine Opferrente nach Stalking

JUSTIZ Das Bundessozialgericht verweigert einem Stalking-Opfer Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz, weil kein tätlicher Angriff vorlag

Ständig rief er an, schickte Schlüsseldienste, Bestattungsunternehmen, Polizei

AUS KASSEL CHRISTIAN RATH

Stalking-Opfer haben keinen Anspruch auf staatliche Opferrenten. Dies hat am Donnerstag das Bundessozialgericht in Kassel entschieden. Gewaltloser Psychoterror sei kein „tätlicher Angriff“ nach dem Opferentschädigungsgesetz, so die Richter.

Geklagt hatte die heute 60-jährige Sozialpädagogin Ursula B. aus Bremerhaven. Im Jahr 2001 lebte sie für einige Monate in einer Beziehung mit einem alkoholkranken Mann. Nach der Trennung stellte ihr der enttäuschte Liebhaber jahrelang nach, teilweise jeden Tag. Ständig rief er an, stand vor dem Haus und schickte Polizei, Feuerwehr, Schlüsseldienste oder Bestattungsunternehmen zu Ursula B. Immer wieder drohte er mit Gewalttaten, auch gegenüber ihren erwachsenen Kindern oder an ihrem Arbeitsplatz.

Der Psychoterror hörte erst auf, als der Stalker 2005 für acht Monate in Haft musste und eine Alkoholtherapie begann. Zuvor hatte er alle polizeilichen Ermahnungen und Annäherungsverbote ignoriert. Frau B. war mit den Nerven am Ende. Sie leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und ist nicht mehr arbeitsfähig. Sie erhält eine Erwerbsunfähigkeitsrente.

Zusätzlich stellte B. 2005 den Antrag auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Sie würde dann eine kleine zusätzliche Beschädigtenrente von rund 250 Euro erhalten sowie einen gewissen Ausgleich für Einnahmeausfälle im Beruf. Bezahlen müsste das Land Bremen. Das Bremer Versorgungsamt lehnte den Antrag jedoch ab. Laut OEG könnten nur die Opfer eines „tätlichen Angriffs“ mit Opferrenten rechnen.

Nach wechselnden Urteilen in den Vorinstanzen musste das Bundessozialgericht entscheiden, ob auch der Psychoterror eines Stalkers als „tätlicher Angriff“ gilt. „Die permanente Präsenz eines Stalkers kommt einer Körperverletzung gleich“, argumentierte Sonja Briesenick, die Anwältin des Opfers. Immerhin sei Stalking seit 2007 auch explizt strafbar. David Geduldig von der Bremer Behörde entgegnete: „Beim Stalking, wie auch beim Mobbing am Arbeitsplatz, ist die Schwelle zum ‚tätlichen Angriff‘ nicht überschritten.

Das Bundessozialgericht gab dem Land Bremen Recht. „Gewaltlose, insbesondere psychische Einwirkungen auf das Opfer reichen nicht aus“, erklärte der Vorsitzende Richter Helge Loytved. Auch die Drohung mit Gewalt sei nur dann als tätlicher Angriff anzusehen, wenn diese unmittelbar bevorstehe.

Der Fall wurde an das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen zurückverwiesen. Das LSG soll prüfen, ob die Traumatisierung von Frau B. eventuell dadurch ausgelöst wurde, dass der Stalker sie einmal am Arm festgehalten hat – was Beobachter aber für ausgeschlossen halten. (Az.: B 9 VG 2/10 R)

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