„Besetzer als Innovatoren“

SQUATTING DAYS Zum Auftakt der Aktionstage stellt Andrej Holm sein neues Buch „Reclaim Berlin“ vor

■ 43, ist Sozialwissenschaftler mit Schwerpunkt Gentrifizierung an der Humboldt-Universität Berlin. Foto: Stephan Röhl

taz: Herr Holm, welche Rolle spielen Hausbesetzungen für die Stadtentwicklung?

Andrej Holm: Historisch betrachtet waren die Hausbesetzer in den 80er-Jahren in Städten wie Hamburg und Berlin große Innovatoren.

Inwiefern?

Die heute legalisierten Projekte haben häufig sehr viel niedrigere Mieten als die heutigen Szeneviertel um sie herum. Die Besetzer bauten gesellschaftlichen Druck auf und hatten einen starken Einfluss auf die damalige Wohnungspolitik. Auf der anderen Seite waren Besetzungen aber auch immer ein Experimentierfeld der Polizei für den Umgang mit zivilem Ungehorsam.

Ist das heute immer noch so?

Das Problem ist, dass Besetzungen in Deutschland häufig auf ein subkulturelles Milieu beschränkt bleiben. Anders als in England oder den Niederlanden sind Hausbesetzungen hier nie eine Massenbewegung gewesen.

Ihr Buch beschäftigt sich mit den Widerstandsformen in Berlin. Sind die Protestformen dort mit Hamburg vergleichbar?

Dem Netzwerk „Recht auf Stadt“ ist es gelungen, frühzeitig stadtpolitische Themen zu setzen und in Hamburg wichtig zu werden. Das ging aber zu Lasten konkreter Reformforderungen. Recht auf Stadt hat ganz allgemein eine neue Politik gefordert, ist aber nicht mit konkreten Forderungen an die Politik herangetreten. Das ist in Berlin anders, da geht es eher um realpolitische Interventionen in der Kommunalpolitik. Aber darüber sprechen wir dann ja Mittwochabend in der Veranstaltung.

Was müsste sich in Hamburg ändern, um die Wohnungs- und Mietsituation zu entspannen?

Dasselbe wie eigentlich überall. Wir haben einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum, gerade für Einkommensschwache, und brauchen mehr kommunalen Wohnungsbau. Gleichzeitig muss die Politik für die Unterbrechung der Verwertungskreisläufe sorgen. Aber das ist derzeit kein Thema für die Politik, nicht in Hamburg, Berlin oder im Bundestag. Deshalb ist Mieterselbstorganisation so wichtig. Die Mieter müssen sich organisieren, zum einen, um unmittelbar Forderungen durchsetzen zu können, aber auch um Einfluss auf die Wohnungspolitik zu nehmen. Da haben wir auch schon Erfahrungen aus der Hausbesetzerbewegung.  INTERVIEW: HST

Buchvorstellung von „Reclaim Berlin“ und Diskussion über „Recht auf Stadt“ Hamburg: 20 Uhr, Kölibri, Hein-Köllisch-Platz 11 + 12