Schwedische Folklore

FREMDENVERKEHR Die Hansestadt Wismar schlachtet ihre schwedische Vergangenheit touristisch aus: Neben dem alljährlichen Schwedenfest gibt es eine Innenstadt, in der vieles auf die einstigen Herrscher verweist

Heftig ist der Knall, Rauchschwaden steigen aus den Kanonen auf. Ein Baby beginnt zu schreien. Dabei hatte der Offizier in der schmucken Uniform auf den Stufen zum Rathaus dringend empfohlen, Kindern und Hunden die Ohren zuzuhalten. Aber wenn Schlachten zu schlagen sind, gibt es halt Kollateralschäden. Auch auf dem Marktplatz von Wismar.

Zum 15. Mal feierte die mecklenburgische Hanse- und Hafenstadt am vorigen Wochenende das mit angeblich etwa 100.000 Besuchern „größte Schwedenfest außerhalb Schwedens“, so die Eigenwerbung. Die Innenstadt und der alte Hafen des Unesco-Weltkulturerbes an der Ostsee wurden zu einer Fressmeile umgestaltet, in der Fußgängerzone spielte eine schwedische Akkordeon-Combo Polka und auf der NDR-Bühne sang das österreichische Pop-Sternchen Christina Stürmer.

Auf dem 100 mal 100 Meter großen Markplatz hatten zudem schwedische militärhistorische Vereine ein Feldlager aufgebaut. Zwei Mal am Tag ballerten sie mit Kanonen und trabten in bunten Uniformen auf ihren Pferden über das Original-Kopfsteinpflaster aus dem 14. Jahrhundert.

255 Jahre lang gehörte die Hafenstadt an der Ostsee zum Königreich Schweden. Im Dreißigjährigen Krieg besetzten schwedische Truppen 1632 große Teile von Mecklenburg und Vorpommern, nach dem Friedensschluss von 1648 fiel die Region offiziell an die Krone in Stockholm. Wismar wurde zur Festung ausgebaut und Verwaltungs- und Gerichtssitz für die norddeutschen Ländereien. 1803 indes verpfändete der finanziell klamme schwedische König Gustav IV. Adolf Wismar und die vorgelagerte Insel Poel an den mecklenburgischen Herzog Ferdinand mit der Option, das Pfand nach 100 und 200 Jahren zurückkaufen zu können. 1903 verzichtete Schweden endgültig auf den Rückkauf.

Aber erst nach der deutschen Wiedervereinigung taten sich wahrhaft neue Horizonte auf: Wismar entdeckte den Tourismus. Und so wurde die Innenstadt herausgeputzt: die einzigartige Wasserkunst von 1602, der Backsteinbau mit dem hanseatischen Treppengiebel, der zwar von etwa 1380 stammt, aber dennoch heutzutage „Alter Schwede“ heißt, und die beiden bunt bemalten „Schwedenköpfe“, zwei Büsten, die den Zugang zum Hafen bewachen. Im Jahr 2000 wurde das Schwedenfest ins Leben gerufen, das „längst zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor für unsere Stadt geworden ist“, wie Bürgermeister Thomas Beyer in seinem Grußwort im Programmheft schreibt.

Doch es geht nicht nur um Beherbergungszahlen und Gewerbesteuereinnahmen für die 42.000 Einwohner zählende Stadt. Denn die Deutsch-Schwedische Gesellschaft zu Wismar mit mehr als 100 Mitgliedern hat ein schwedisches „Snapsviseboken“ mit rund 1.000 Trinkliedern in gekürzter Form ins Deutsche übertragen. Das „Kleine schwedische Schnapsliederbuch“ solle, so freuen sich die Schwedenfreunde mitteilen zu können, „ein Stückchen Lebensqualität nach Deutschland vermitteln“.

Na dann: Skål auf das schwedische Erbe.  SVEN-MICHAEL VEIT