„Kein Franzose will ein neues AKW“

Die grüne EU-Abgeordnete Rebecca Harms hält die französische Forderung, Atomstrom als erneuerbare Energie anzurechnen, für aberwitzig. Notwendig sei nun die Aufkündigung des Euratom-Vertrags

Die Filmemacherin und Gorleben-Aktivistin REBECCA HARMS, 50, ist seit 2004 für die Grünen im Europaparlament und Mitglied im Industrieausschuss.

taz: Frau Harms, der Euratom-Vertrag wird 50 Jahre alt – handelt es sich bei diesem Geburtstag um eine Beerdigungsfeier oder um eine Wiederauferstehung?

Rebecca Harms: Ich hoffe, dass wir den Euratom-Vertrag beerdigen können. Eine Mehrheit im Europaparlament wird sich wohl darauf verständigen können, eine neue Vertragsstaaten-Konferenz zu fordern. Mein Wunsch wäre, dass die Staaten, die sich gegen eine Nutzung der Atomenergie entschieden haben, eine Neufassung des Vertrages fordern und ihn andernfalls einseitig aufkündigen.

Müssten sich da nicht die Regierungen zusammentun?

Deutschland, Österreich und Irland haben es mehrfach angekündigt, sind dann aber wieder zurückgeschreckt. Diese Länder könnten sich vielleicht schneller entschließen, wenn auch das Europaparlament eine Vertragsstaatenkonferenz durchführte.

Momentan reden alle übers Klima, und so wird Kernkraft als CO 2 -neutrale Energiequelle natürlich wieder attraktiv. Frankreich will sich seine AKWs auf die Quote erneuerbarer Energien anrechnen lassen …

Das ist eine Forderung, die vom Lobbyverband der Atomwirtschaft Foratom seit einem Jahr hier in Brüssel platziert wird. Das halte ich für aberwitzig. Wer auf das eine Megarisiko mit der Neubegründung eines neuen Megarisikos reagiert, ist nicht auf dem Weg in eine nachhaltige Energiewirtschaft.

Mit erneuerbarer Energie allein werden wir die Klimaziele aber nicht erreichen.

Die Atomkraft kann keine ehrgeizigen Beiträge zur CO2-Minimierung gewährleisten. Sie hat an der Stromerzeugung in der EU ja nur einen marginalen Anteil. Es hat bisher keine konsequente Politik zu Gunsten von Energieeinsparen und Energieeffizienz gegeben. Der gute Ansatz der EU-Kommission in ihrem Plan „Energieeffizienz“ ist völlig aus dem Blick geraten. Wir müssen die Effizienzstandards in allen Bereichen erhöhen: bei der Produktion von Strom, bei der Verwendung von Energie und im Verkehr. Diese drei Bereiche dürfen nicht isoliert gesehen werden. Dort haben wir enorme Einsparpotenziale.

Was macht denn ein Land wie Frankreich, wo 70 Prozent des Stroms aus AKWs kommt?

Wir haben uns vom Ökoinstitut in Freiburg eine Studie dazu anfertigen lassen. Sie zeigt, dass man 30 Prozent CO2 bis 2020 und 50–80 Prozent bis 2050 einsparen und die Atomenergie gleichzeitig auslaufen lassen kann, bei einer Durchschnittslaufzeit von 40 Jahren. Das schafft man, wenn man in allen Bereichen auf Effizienz und den Ausbau der Erneuerbaren setzt.

Lassen sich die Mitgliedsstaaten auf solche neuen Strategien ein?

An den Franzosen prallen diese Ideen von Nachhaltigkeit und Klimaschutz bislang noch völlig ab. Frankreich darf aber nicht zum Maß der Dinge in der Energiepolitik werden. Über einige Probleme sind sich die Franzosen noch gar nicht im Klaren. Es gibt keine Pläne, was mit dem Müll passieren soll. Selbst der französische Rechnungshof meint, dass diese Kosten nicht gegenfinanziert sind. Dafür wird der Steuerzahler bald eine ziemlich hohe Rechnung präsentiert bekommen. Wenn die Debatte um einen Standort für ein Endlager losgeht, wird das sehr spannend. Kein Franzose will ein neues AKW in seiner Nachbarschaft – geschweige denn eine Deponie für Atommüll.

In Finnland wird ja auch gerade ein neues AKW gebaut.

Der Nuklear-Konzern Areva hat schon jetzt 700 Millionen Euro Verluste eingefahren. Ich bezweifle, dass zum Beispiel Eon derzeit bereit ist, sich zusammen mit Areva in Frankreich auf ein ähnliches Abenteuer einzulassen. Außerdem gibt es erste Anzeichen für ein Umdenken: Den Energiepakt mit dem Umweltjournalisten Nicolas Hulot haben die beiden Präsidentschaftskandidaten Royal und Sarkozy ja unterzeichnet. Die Franzosen sind spät dran, aber es bewegt sich etwas. INTERVIEW: DANIELA WEINGÄRTNER