Hilfskräfte von Tepco ohne Dosimeter

MESSGERÄTE 180 Arbeiter waren einen Tag ohne eigenes Strahlenmessgerät im Einsatz im AKW. 70.000 Evakuierte können langfristig nicht nach Hause. Widersprüchliche Becquerel-Angaben

AUS TOKIO MARTIN FRITZ

Der widersprüchliche Umgang mit Strahlenwerten durch die Behörden und den Stromkonzern Tepco sorgt weiter für Verwirrung. So gab der Kraftwerksbetreiber jetzt zu, dass nicht alle Arbeiter ein eigenes Dosimeter besitzen, um ihre persönliche Strahlenmenge zu überwachen.

Nach einem Bericht des öffentlich-rechtlichen Senders NHK waren 180 Arbeiter in Fukushima mindestens einen Tag lang ohne eigenes Dosimeter im Einsatz. Nur jeweils der Leiter eines Teams trage ein Strahlenmessgerät. Da die Gruppen sich auch aufteilen, wird jedes Mitglied jedoch unterschiedlich belastet. „Ich weiß nicht, wie viel Strahlung ich schon abbekommen habe“, beschwerte sich ein Tepco-Arbeiter. Von 5.000 Dosimetern seien durch die Beben- und Tsunami-Schäden nur 320 funktionstüchtig, gab Tepco zu. Die Einsätze fänden jedoch nur in gering radioaktiver Umgebung statt. Dort ist das Tragen von Dosimetern jedoch gesetzliche vorgeschrieben. Das Gesundheitsministerium kündigte an, die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften zu überprüfen. Der Stromversorger holt nun Dosimeter aus anderen AKWs und verzichtet bis dahin auf Arbeitseinsätze ohne die Geräte.

Die Regierung demonstrierte derweil die Rückkehr zur Normalität. Der Premierminister und das ganze Kabinett zogen am Freitag mit wenigen Ausnahmen ihre blauen Overalls aus, mit denen sie drei Wochen lang ihr Krisenbewusstsein ausgedrückt hatten. „Wir wollen zeigen, dass wir in die Zukunft blicken“, erklärte Regierungssprecher Yukio Edano die Rückkehr zur gewohnten Kleidung. Am 1. April beginnt in Japan das neue Geschäftsjahr.

Auch für die rund 70.000 Evakuierten aus der 20-Kilometer-Zone um die havarierten Atommeiler wird der Ausnahmezustand zur ungewollten Normalität. „Sie sollten sich darauf einstellen, dass sie langfristig nicht in ihre Häuser zurückkehren können“, sagte Edano. Eine Ausweitung der Zone machte Edano von den Strahlenwerten abhängig. Eine Vergrößerung des Evakuierungsradius um nur 10 Kilometer würde jedoch bedeuten, dass weitere 137.000 Personen weichen müssen. Botschaften in Tokio wie die der USA fordern ihre Bürger gar auf, sich nicht im 80-Kilometer Umkreis aufzuhalten. Eine Evakuierung eines so großen Gebietes würde Großstädte betreffen wie das 53 Kilometer entfernte Iwaki (342.000 Einwohner), Kooriyama (57 Kilometer, 340.000 Einwohner) und Fukushima (75 Kilometer, 292.000).

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien hatte in dem Dorf Iitate 40 Kilometer vom Atomkraftwerk entfernt eine radioaktive Strahlung von 200.000 bis 900.000 Becquerel durch Jod-131 und Cäsium-137 gemessen. Daher müssten die Menschen evakuiert werden, forderte die IAEO. Doch die japanische Atomsicherheitskommission Nisa hatte 163.000 Becquerel gemessen. Behördensprecher Seiji Shiroya führte den Unterschied darauf zurück, dass die IAEO die Strahlung auf einem Quadratmeter Gras, Nisa hingegen in einem Kilogramm Boden ausgewertet habe. „Unsere Kriterien für die Evakuierung sind die Strahlenwerte in der Luft, im Staub und in der Nahrung. Das sagt mehr über die Wirkung auf Menschen aus“, betonte ein Nisa-Sprecher.

Der Bürgermeister von Iitate ließ sich davon überzeugen. „Einen halben Tag lang habe ich mir Sorgen gemacht, aber jetzt bin ich beruhigt“, sagte Norio Kanno. Die Regierung habe ihm versprochen, etwas gegen den verstrahlten Boden zu unternehmen. Eine 60-jährige Frau war weniger naiv. „Es ist gut, dass der Atomunfall international beobachtet wird“, meinte sie. Dadurch könne Japan nichts verschleiern. Professor Hiromi Yamazawa von der Universität Nagoya hält die Strahlenwerte für „ziemlich hoch“. Die Menschen sollten in ihren Häusern bleiben oder die Stadt verlassen. Fast die Hälfte der 6.500 Dorfbewohner ist bereits weg.