Leserinnenvorwurf

Zorn, nicht Wut

Seit Längerem ärgere ich mich über die Verwendung des Begriffs „Wutbürger“ in Artikeln, die Stuttgart 21 betreffen. Dieser Begriff ist als Polemik gegen angeblich alte, saturierte Protestler entstanden und stellt kein Kompliment dar.

Hier in Stuttgart gibt es Buttons, die daraus „Mutbürger“ machen, ich trage so einen. Seit November 2009 war ich fast jeden Montag auf der Demo am Bahnhof, nicht aus Wut, sondern aus Zorn – ein feiner, aber wichtiger Unterschied.

SUSANNE BOCHÉ-GAUGER, Stuttgart

taz-antwort
Richtig, und jetzt ist es Mut statt Wut

Mit der ursprünglichen Verwendung des Begriffs „Wutbürger“ als Schmähung haben Sie recht. Er wurde ja geprägt von Dirk Kurbjuweit, dem Parlamentschef des Bürgerinitiativen-Skeptiker-Magazins Der Spiegel. Und machte dann als „Wort des Jahres 2010“ Karriere.

Aber ist das nicht längst dem Respekt, in manchen Kreisen gar der Angst vor der Power dieser Bürger gewichen? Ich jedenfalls empfinde den Begriff „Wutbürger“ schon lange nicht mehr als Beleidigung.

Allerdings, wie ich in meinem Kommentar „Aufbruch der Mutbürger“ vom 29. März auch geschrieben habe, sind wir spätestens seit den Wahlergebnissen vom Sonntag eh über den Wutbürger hinaus, und jetzt ist der Mutbürger am Zug. Von daher werde ich den „Wutbürger“ möglichst nicht mehr verwenden – es sei denn, Wut über den mangelhaften Mut in Politik und Gesellschaft wäre wieder angebracht. Denn das Zittern, ob die BaWü-Grünen oder die Deutschen insgesamt die Veränderungen aushalten können, geht ja schon los, bevor es überhaupt angefangen hat.

Reiner Metzger, stellv. Chefredakteur der taz