Die Siedler von Friedrichshain

GESELLSCHAFTSSPIELE Die Spielwiese ist eines von vielen Cafés im Simon-Dach-Kiez – aber eben nicht irgendeines. Gäste können sich hier Spiele ausleihen und bis spät nachts würfeln, zocken oder an Strategien tüfteln

Amerikaner bezeichnen Brettspiele nicht umsonst als „German Games“

VON JULIA SCHWEINBERGER

Die Dämmerung lässt es ahnen: Lang dauert es nicht mehr, bis Partytouristen und Feierwütige die Straßen im Simon-Dach-Kiez in Friedrichshain entlangziehen werden. Auf der Suche nach einem Späti, etwas zu essen oder der richtigen Bar werden die Horden auch an der Spielwiese vorbeikommen. Doch nur wer einen Blick durch das Fenster wirft, wird die Holztische und bunten Stühle entdecken, wird die Regale sehen, in denen sich Brettspiele vom Boden bis zur Decke türmen, wird einen Raum vorfinden, der an ein riesiges Kinderzimmer erinnert.

Die Spielwiese in der Kopernikusstraße ist ein Spielecafé, in dem Spiele ausgeliehen oder vor Ort gespielt werden können. Auch am Montagabend ist sie gefüllt mit jungen Leuten, die eifrig Spielfiguren hin- und herschieben, dabei Waffeln mit Kirschen essen oder Bier trinken. „Weil es noch zu früh ist, um in einen Club zu gehen, kommen die Leute oft hierher, bevor sie weiterziehen“, erklärt Michael Schmitt, dem die Spielwiese gehört.

So auch Sarah und Oliver. „Wir wollten irgendwo etwas trinken gehen. Ohne Qualm, nicht so eine typische Bar. Dann haben wir die Spielwiese entdeckt“, erzählt Oliver. Seitdem kommen die beiden regelmäßig her, um Schach zu spielen. „Wir sind lieber hier als zu Hause. Obwohl man Schach nur zu zweit spielen kann, ist es schöner in Gesellschaft anderer“, erklärt er.

Spielen ist eine „kommunikative Sache“, findet auch Michael Schmitt. Klar, dass es dabei auch richtig laut werden kann. Wenn an einem Tisch alle durcheinanderschreien, um Begriffe zu erraten oder wenn wild gewürfelt wird und hin und wieder Sachen durch die Gegend fliegen. An diesem Abend scheint das Publikum hochkonzentriert. Eine Gruppe von Spieleautoren hat sich um einen Tisch versammelt. Jeffrey D. Allers hat ein neues Strategiespiel entwickelt. Doch bevor er es an einen Verlag schicken kann, muss er testen, ob die Regeln auch funktionieren. Bereits letzte Woche hat die Autorengruppe Jeffreys Spiel getestet, jetzt hat er die Regeln vereinfacht. Doch es sieht immer noch kompliziert aus, wenn man die vielen Steine, Figuren und Spielkarten, die auf dem Tisch liegen, betrachtet. „Manchmal arbeitet man an einem Spiel mehrere Jahre“, erzählt der Spieleautor. Gemeinsam mit seinem Kollegen Bernd Eisenstein hat er das Würfelspiel „Alea iacta est“ herausgebracht. Davon leben können die beiden allerdings nicht. Es gibt in Deutschland maximal fünf Spieleautoren, die das hauptberuflich machen, erzählt Bernd Eisenstein. Er selbst ist Briefzusteller. Spieleerfinden ist für den 43-Jährigen ein Hobby.

Brettspiele haben in Deutschland Tradition. In keinem anderen Land werden jährlich so viele neue Spiele auf den Markt gebracht, Amerikaner bezeichnen Brettspiele nicht umsonst als „German Games“. „Playstation“ und „Nintendo Wii“ sind wohl typische amerikanische Spiele, doch stehen die in keiner Konkurrenz zu den guten, alten Brettspielen. Um Weihnachten herum macht er ein Drittel seines Umsatzes nur durch das Verkaufen von Spielen, erzählt Michael Schmitt.

Sind Brettspiele, denen lange etwas Verstaubtes anhaftete, wieder im Trend?„Manchmal funktioniert das Analoge einfach besser“, weiß der 41-Jährige. Gleich neben der Eingangstür des Cafés hängt ein Schwarzes Brett mit Zetteln und Telefonnummern von Leuten, die Mitspieler suchen. „Das Schwarze Brett funktioniert super“, erzählt Schmitt. „Ständig schreiben sich Leute Nummern auf oder pinnen Zettel hin. Das Onlineforum im Internet dagegen wird überhaupt nicht genutzt.“ Auch Dave hat seine Telefonnummer dort hinterlassen. Erst vor wenigen Monaten ist der Däne nach Berlin gezogen und wohnt nun in Kreuzberg. Er liebt Strategiespiele, doch wenn er mit seinen Freunden hierherkommt, wollen die meistens Einfacheres spielen. „Mir geht’s dabei schon ums Gewinnen“, sagt der 23-Jährige. „Ist doch langweilig sonst“, fügt er hinzu und grinst. Da kann es schon mal vorkommen, dass einer „kurz vor die Tür muss, um Luft zu schnappen. Das passiert aber nicht bei meinem Stammpublikum, sondern bei Hardcore-Strategie-Spielern“, erzählt Schmitt.

Einmaliges Konzept

In Deutschland ist das Konzept der Spielwiese einmalig. „Diese Kombination aus Café, Ausleihen und Kaufen gibt es nur hier“, erzählt der Besitzer stolz. Vor fünf Jahren gab er seinen Job an der Uni Potsdam auf, um seinen Traum vom Spielecafé zu verwirklichen. „Am Anfang habe ich viele Stammkunden gehabt. Vor allem Familien mit Kindern, die es gewohnt waren, spontan zu kommen. Die haben jetzt gar keinen Platz mehr“, erzählt er. Denn jetzt, vor allem am Wochenende, ist der Laden voll mit jungen Menschen. „Hier hat man die Auswahl. Und kann auch neue und unbekannte Spiele ausprobieren“, erklärt Dave, während von draußen immer wieder neugierige Gesichter durchs Fenster lugen.

Spät ist es geworden, und Dave setzt seinen letzten Stein auf das Spielbrett. Auch Oliver ist mittlerweile zum zweiten Mal schachmatt. Zeit aufzubrechen, die Nacht ist schließlich noch jung.