Der Präsident weilt im Urlaub, die Türkei gibt sich vorsichtig

REAKTIONEN BND-Affäre beherrscht die Medien, doch die Regierung nimmt nur verhalten Stellung. Abhören gehört in Ankara zum Politikbetrieb

Illegales Abhören ist in der Türkei weit verbreitet und verwundert deshalb niemanden

ISTANBUL taz | „Deutschland hört uns ab“, titelte gestern die regierungsnahe Tageszeitung Yeni Safak, und auch Hürriyet machte seine Leser in Großbuchstaben auf der Titelseite auf die Enthüllung aufmerksam. Die lautesten Ankläger haben oft selbst etwas zu verbergen: Getreu diesem Motto versäumte am Sonntag keine der großen türkischen Zeitungen, darauf hinzuweisen, dass gerade die Deutschen, die sich über die Ausspähung durch die amerikanische NSA so aufgeregt hätten, zur selben Zeit bei ihrem Nato-Partner Türkei das Gleiche machen.

Noch wird das Thema Ausspähung durch die Deutschen allerdings überwiegend kommentarlos abgehandelt. Die wichtigen Meinungsmacher hatten ihre Kolumnen für die Sonntagsausgaben offenbar bereits abgeliefert, als die BND-Türkei-Connection bekannt wurde. Auch die türkische Politik hat bislang noch nicht Stellung genommen. Nach der Präsidentschaftswahl am letzten Sonntag sind die hiesigen Politiker, einschließlich des designierten Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, erst einmal für ein paar Tage in den Sommerurlaub verschwunden, die Büros in den Parteizentralen und Ministerbüros sind weitgehend verwaist.

Der Vizechef der regierenden AKP, Mehmet Ali Sahin, erklärte lediglich, die Berichte müssten „ernst genommen werden“, und sagte eine gründliche Prüfung zu. Zugleich mahnte er zur Vorsicht.

Bevor Erdogan oder ein von ihm autorisierter Vertreter aber nicht Stellung genommen hat, werden sich alle anderen aber zurückhalten. Die Tageszeitung Sabah wusste lediglich zu berichten, es werde geprüft, wen oder was die Ausspähaktionen des BND betreffe. Es liegt deshalb jetzt vor allem an Erdogan, ob aus dem BND-Spähprogramm auch ein politischer Skandal wird. Das wird wohl davon abhängen, ob der BND sich tatsächlich, wie in Berlin behauptet wird, im Wesentlichen auf die auch in Deutschland verbotene kurdische PKK und die Aktivitäten deutscher oder europäischer Islamisten im Grenzgebiet zu Syrien und Irak konzentriert hat oder ob der deutsche Geheimdienst auch türkische Spitzenpolitiker belauscht hat.

Illegales Abhören ist ja in der Türkei weit verbreitet und verwundert in Istanbul oder Ankara deshalb niemanden. In vielen politischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre spielten heimlich mitgeschnittene Gespräche immer wieder eine wichtige Rolle.

Dass der BND in der Türkei aktiv ist, ist eigentlich nichts wirklich Neues. Seit Jahrzehnten existiert eine Zusammenarbeit mit dem türkischen Geheimdienst MIT, insbesondere was die Überwachung von PKK-Leuten oder Angehöriger linksradikaler Organisationen angeht, die sowohl in der Türkei wie auch in Westeuropa aktiv sind. Es ist in der Türkei deshalb jetzt vor allem eine Frage der Opportunität, wie mit dem Thema weiter umgegangen wird.

Einen Hinweis gab allerdings schon einmal die regierungsnahe Sabah. Die Tatsache, dass die Türkei in Berlin 2009 auf den Index gesetzt worden sei, schreibt das Blatt, könne möglicherweise damit zusammenhängen, dass in dem Jahr die islamische Gülen-Gemeinde damit begonnen hätte, gegen die Regierung zu arbeiten. So wird eine brauchbare Verschwörungstheorie aus den BND-Meldungen.

JÜRGEN GOTTSCHLICH