Taumelnde Löwen in Gelb-Blau

SACHSEN Holger Zastrow, Spitzenkandidat der FDP, führt nicht irgendeinen Wahlkampf. Es geht um das Schicksal einer Partei, die aus allen anderen Landesregierungen raus ist

Auf den Plakaten steht „Sachsen ist nicht Berlin“. Abgrenzung als Strategie

AUS GROSSENHAIN JASMIN KALARICKAL

Auf dem Marktplatz von Großenhain ist eine blau-gelbe Hüpfburg aufgebaut. Kein Kind hüpft darin. Die sächsische FDP hat sich daneben ein Wahlzelt aufgebaut, Stehtische, Flyer, Gimmicks, alles in den Farben der Partei, Blau-Gelb. Ein älterer Mann kommt auf den Platz aus rotem Kopfsteinpflaster, bleibt stehen, schaut sich die riesige Hüpfburg an und geht weiter. Ein Wahlhelfer sprintet los und drückt ihm noch Infomaterial in die Hand. Es ist so ruhig, dass man das Wasser vom Springbrunnen plätschern hört.

Mitten in den Sommerferien macht die FDP in Sachsen ihren wohl wichtigsten Wahlkampf. Und Holger Zastrow, dem Landesvorsitzenden und Spitzenkandidaten, ist damit in gewisser Weise das Schicksal der gesamten FDP anvertraut. Nachdem die Liberalen im vergangenen Jahr auf Bundesebene die 5-Prozent-Hürde verfehlt haben und aus dem Bundestag geflogen sind, ist Sachsen das einzige Bundesland, in dem die FDP noch in der Regierung ist. „Die letzte schwarz-gelbe Bastion“, sagt Zastrow. Das Ergebnis dieser Landtagswahl am 31. August entscheidet also darüber, ob die FDP zur reinen Oppositionspartei verkümmert oder nicht. In den Umfragen liegt sie derzeit bei etwa 4 Prozent; ihr jetziger Koalitionspartner CDU liegt demnach bei 40 Prozent. Der Linkspartei werden 19, der SPD 14, den Grünen und der AfD jeweils 6 und der NPD 4 Prozent vorausgesagt.

Holger Zastrow gibt sich demonstrativ gelassen. „Selbstverständlich ziehen wir in den Landtag ein“, sagt er. „Wir kämpfen wie die Löwen.“ Der erste Knopf seines dunkelblauen Hemdes ist geöffnet, die Ärmel hat er leicht hochgekrempelt, er trägt keine Krawatte. Dann deutet er auf das blaue T-Shirt einer Wahlhelferin, auf dem „Sächsische Löwin“ steht, und gibt eine Anekdote zum Besten. Über den Löwen Malik im Tierpark Chemnitz, der todkrank war, nichts mehr fraß und eingeschläfert werden sollte. „Aber genau an dem Tag, als er sterben sollte, hat er sich wieder aufgerappelt“, sagt Zastrow und lächelt. Eine klassische Auferstehungsgeschichte, eine Analogie zur totgeglaubten FDP. Dann übergibt er einen Plüschlöwen in weißem T-Shirt, auf dem „Team Zastrow“ steht. Die fünf Wochen lange Sommertour mit mehr als 70 Stationen sind eine Kampfansage – so viele Termine gab es nie zuvor. Großenhain ist eine davon.

Auf Hilfe der Bundespartei setzt Zastrow bei seinem Wahlkampf nicht. Der Bundesvorsitzende Christian Lindner wird nicht in Sachsen sprechen. Im Gegenteil – wer durch Sachsen fährt, sieht an jedem Laternenpfahl Plakate, auf denen geschrieben steht: „Sachsen ist nicht Berlin“. Abgrenzung als Strategie.

Die sächsische FDP sei anders, eigenwillig, bodenständig, sagt der Spitzenkandidat und setzt nach: „Wir haben die Idee des Liberalismus ins Sächsische übersetzt.“ Die lokale Verwurzelung ist Zastrow wichtig. Sein politisches Engagement begann bei den Montagsdemonstrationen im Wendeherbst 1989. Er gründete die Jungliberale Aktion in Dresden als Alternative zur FDJ mit. 1993 trat er in die FDP ein, 1999 wurde er Landesvorsitzender, 2009 brachte er sie mit 10 Prozent erstmals in die Regierungsbeteiligung, derzeit ist er Landesvorsitzender und Fraktionschef im Sächsischen Landtag zugleich.

Heute lässt er keine Gelegenheit aus, die jetzige Bundesregierung mit den DDR-Oberen zu vergleichen. Er nennt die Energiewende „Planwirtschaft ohne Plan“, beschimpft Merkels Politik als „Renaissance des Sozialismus“. Er wettert gegen den Mindestlohn und sagt altbekannte Sätze der FDP wie „Leistung muss sich lohnen“ in einem Atemzug.

Zastrow, 45 Jahre alt, ist selbst Unternehmer, er führt eine Werbeagentur mit 15 Mitarbeitern. Der Mittelstand ist ihm wichtig, der Bäcker von nebenan, der Fleischer auf dem Land. Dann verweist er auf die Leistungsbilanz der FDP: die niedrigste Arbeitslosenquote seit der Wende, ein Haushalt ohne Neuverschuldung, die Abwanderung gestoppt, die Schulschließungen beendet. Mehr Lehrer und mehr Polizei seien der nächste Schritt.

Plötzlich tut sich etwas auf dem Marktplatz. Ein paar Windkraftgegner kommen auf Zastrow zu, sie ärgern sich über die Energiewende. Und darüber, dass ihnen jetzt Windräder genau vor ihre Häuser gesetzt und dafür Wälder abgeholzt werden sollen. Es ist dieses Bündnis aus Naturschützern und Heimverteidigern, das nun ausgerechnet auf die FDP setzt. „Sollen die doch mit ihrer Energiewende nach Baden-Württemberg gehen und den Schwarzwald abholzen“, sagt Zastrow. Er weiß, was ankommt. Das Thema Windkraft scheint so etwas wie der heimliche Joker der sächsischen FDP zu sein – denn sie könnte damit bei klassischen Grünenwählern landen.

Und die AfD, an die die FDP bei der Europawahl die meisten Stimmen verloren hat? Das sei bloß eine „eine bunte Truppe aus Protestlern ohne Kompass“, erwidert er. Ein fester Händedruck und Holger Zastrow macht sich auf den Weg. Zum nächsten Termin, nach Riesa.