Trendsportler hören Rod Stewart

Gesichter eines Hypes: Bochum feiert die Stars des Snooker-Sports und bewirbt sich mit einer trashigen Show als deutsche Billard-Hauptstadt. Nächstes Jahr winkt ein Weltranglistenturnier

AUS BOCHUM KLAUS JANSEN

Der ältere Herr aus Großbritannien ist irritiert. „Es ist erst das zweite Mal in meinem Leben, dass ich aus dem Boden komme“, sagt er. Versteckt hinter künstlichen Nebelschwaden und begleitet von bombastischer Synthesizer-Musik erhebt sich Steve Davis auf einer elektrischen Bühne aus den Katakomben des Bochumer Ruhrkongresszentrums. Ein bisschen over-acted ist das Ruhrbottbrimborium – selbst für einen sechsmaligen Weltmeister. Steve Davis ist ein Freund angelsächsischen Understatements. Er grinst.

Rund 2.200 Menschen haben bis zu 30 Euro bezahlt, um den Snooker-Altstar aus London am Freitagabend gemeinsam mit dem schottischen Rekordweltmeister Stephen Hendry spielen zu sehen. Eine Exhibition, eine Showveranstaltung nur. Und doch ist die Kulisse in Bochum größer als bei den Topturnieren auf der Insel: Die Londoner Wembley-Arena fasst als größte Snooker-Halle lediglich 2.000 Zuschauer, vor zwei Wochen spielte Davis sein Halbfinale bei den prestigeträchtigen Welsh Open in Newport vor wenigen hundert Besuchern.

Während Snooker in Davis‘ Heimatland eine Krise durchmacht, ist das Spiel mit den 15 roten und sechs bunten Bällen in Deutschland zur Trendsportart geworden. „Nach China ist das hier der wichtigste Markt“, sagt Christopher Henry, der den Bochumer Schaukampf veranstaltet und im nächsten Jahr gerne die komplette Weltelite zu einem der wenigen Ranglistenturniere ins Ruhrgebiet holen möchte. Seinen deutschen Geschäftspartner steckt Henry für dieses Ziel sogar in ein märchenhaftes Merlin-Kostüm, um dem Publikum vor dem Einmarsch der Stars so ungelenkt wie euphorisch die Herkunft der Billardvariante zu erläutern. „Anfangen“, brüllt jemand aus den hinteren Reihen.

Dem Fachpublikum in Bochum muss niemand mehr das Spiel erklären. Hartgesottene Eurosport-Zuschauer haben das Kartenkontingent schon im Vorverkauf geräubert, das anonyme Snooker-Forum bekommt endlich Gesichter: Bekiffte Studenten mit ungesundem Fernsehkonsum genauso wie Sonnenstudio-faltige Frauen, die sonst zum Sechstagerennen oder auf die Trabrennbahn gehen. Dazu Chinesen, Holländer, Belgier sowie bier- und schnapsselige Billard-Veteranen mit Schnauzbart – in den Kneipen des Ruhrgebiets gehört das Queue seit Jahrzehnten zum Mobiliar wie Dartpfeile und Knobelbecher. Im Ruhrkongress läuft in den zahlreichen Showpausen dazu passend Musik von Rod Stewart. Im Foyer füllen sich im Rekordtempo die Aschenbecher. Der Snooker-Fan raucht, isst Currywurst und hat die Haare schön.

Sportliche Höchstleistungen bekommen die Fans trotz der Prominenz der Gäste nicht zu sehen. Steve Davis grimassiert wie Mister Bean, lästert über Kollegen und stiebitzt seinen Gegnern die Kreide. Am Tisch verschießt er jedoch lächerlich einfache Bälle – „accidently“, wie er augenzwinkernd beteuert. Kurz vor Mitternacht verliert er seine Showpartie gegen den Kollegen Hendry mit zwei zu fünf Frames.

Zuvor hatte auch Hendry ein Kurzmatch gegen das deutsche Talent Patrick Einsle verloren. Der Neu-Bochumer hatte sich im vergangenen Jahr auf der Profi-Tour versucht, allerdings ohne auch nur einmal die Qualifikation für die Hauptrunde eines Ranglistenturniers zu überstehen. Im Publikum bleibt der jungenhafte 19-Jährige anonym, auch Hendry und Davis kannte er bis Freitag nur aus dem Fernsehen. „Trotzdem fühle ich mich als Kollege“, sagt er.

Einsle und seine jungen Kollegen Lasse Münstermann, Itaro Santos und Sascha Lippe wird es brauchen, damit der Snooker-Trend in Deutschland nicht so schnell wieder verschwindet wie BMX-Fahren und Lieder von Shaggy. Am Freitag gewinnen die Nachwuchsspieler im belgischen Gent erstmals die Europameisterschaft und lassen sich nach einem Höllenritt über die Autobahn in der Bochumer Nacht für den Titelgewinn feiern. Genauso wichtig ist aber auch die Unterstützung des Fernsehens – und da passt es gut, dass die Eurosport-Snookerstimme Rolf Kalb gleichzeitig Pressearbeit für die Deutsche Billard-Union macht. „Ein Ranglistenturnier in Deutschland wäre der nächste logische Schritt der Entwicklung. Eurosport hat größtes Interesse daran“, sagt er. Steve Davis und Stephen Hendry werden also nächstes Jahr voraussichtlich nochmal nach Bochum kommen – dann aber nicht mehr als Spaßmacher, sondern als Sportler.