Die Relativität des Blaus

KNALLIG ODER DEZENT Der diesjährige Tag des offenen Denkmals befasst sich mit Intensität, Qualität und Gültigkeit von Farbe – und zeigt, dass deren Wahrnehmung und Beurteilung mehr mit unseren Sehgewohnheiten zu tun hat als mit korrekter historischer Rekonstruktion

Als uns klar wurde, wie grell die Welt der alten Griechen war, waren wir nicht amüsiert. „Bunte Götter – Die Farbigkeit antiker Skulptur“ hieß im Jahr 2003 eine Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Und was wir sahen, gefiel uns, den Puristen unter den Kunstliebhabern, nicht.

Dabei waren knallige Farben in der Antike gang und gäbe, und die bleichweiße Akropolis, von uns als minimalistisch rein gepriesen, war einst extrem bunt. Oder unsere schönen gotisch-schlichten Backsteinkirchen hier im Norden: Die waren gar nicht schlicht, der Backstein war weiß grundiert und dann komplett mit Heiligen und Bibelgeschichten übermalt. Die ganze Kirche war tapeziert mit diesen Bildchen, die als Bücher, Comics, „Bibel der Armen“ gedacht waren: Geschichten von Himmel und Hölle für die vielen mittelalterlichen Analphabeten.

Nach und nach beginnen wir also zu akzeptieren, dass der vermeintliche Purismus antiker und mittelalterlicher Skulpturen und Gebäude bloß mit deren Erhaltungszustand zusammenhing und dass das letzte Wort darüber nicht gesprochen war.

Um diesem zögerlich-mürrischen Erkenntnisprozess aufzuhelfen, hat sich der diesjährige bundesweite „Tag des offenen Denkmals“ dem Motto „Farbe“ verschrieben. Denn Farbe, auch deren Qualität und Intensität sind keine absoluten Qualitäten; es gibt kein Kompendium, in dem stünde, wie es einst war und auf ewig zu sein habe.

Im Gegenteil: Farben – in Fensterscheiben, an Wänden, in Gärten, auf Böden – hängen ab vom Zeitgeschmack, von Sehgewohnheiten und Herstellungstechniken. Diesbezüglich hinkt die Moderne dem Mittelalter teils hinterher: Noch immer ist nicht ganz klar, wie das unvergleichliche Blau vieler gotischer Kirchenfenster hergestellt wurde. Und niemand weiß genau, wie grell Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle in Rom ursprünglich waren; man erinnert sich noch an den Schock angesichts der lichten Restauration vor einigen Jahren, die von der lieb gewonnenen Nostalgisch-Patina nichts übrig ließ – oder an Rembrandts „Nachtwache“, die nach der Restauration so nächtens nicht mehr war. Da geriet das ganze vertraute Erklärungsmuster, die Deutung des Bildes überhaupt ins Wanken.

Solche Fragen kann man anhand lokaler Gebäude, Gemälde, Skulpturen am bundesweiten Tag des offenen Denkmals, der allein in Hamburg 120 Gebäude und sonst verschlossene Orte zugänglich macht, diskutieren. Führungen, Vorträge, Kultur, Kinderspiel, Kaffee und Kuchen wird man genießen und sich – wahlweise als Neben- oder als Hauptbeschäftigung – ein kleines bisschen bilden können.  PS

Tag des offenen Denkmals 2014: 12.–14. 9. 2014.

Programm: tag-des-offenen-denkmals.de

sowie www.denkmalstiftung.de/denkmaltag