Ich und breite Beine

POST-PUNK 1979 gehörten „Gang of Four“ zu den Schlausten und Kreativsten: tanzbar und antikapitalistisch. Jetzt steht nach 15 Jahren wieder ein neues Studio-Album im Regal

Rockistisch wollten „Gang of Four“damals nie sein – nun sind sie es

VON MICHAEL SAAGER

„Gang of Four“ sind also wieder da. Keine schlechte Nachricht, gehörte die nordenglische Post-Punkband doch zu den schlausten und kreativsten weit und breit. Das Album „Entertainment!“ aus dem Jahr 1979 ist ein wahrhaft explosives Gemisch aus Musik und Politik – aus französischem Situationismus, Punk und Funk, Marxismus und strukturalistischem (Post-)Marxismus, Dub und Reggae. Der Musik des Albums, einem der tanzbarsten seiner Zeit, entsprechen die Texte. Das hatten die linken Kunststudenten von Walter Benjamin und Bertolt Brecht gelernt: Inhalt und Form sollten miteinander besser korrespondieren.

Statt maskuline Gitarrensoli zu spielen, ließ man jene Lücken stehen, die Gitarrist Andi Gill einmal als „Antisoli“ bezeichnete. Bassist Dave Allen musste sein Spiel auf wenige Noten reduzieren. Bevorzugt wurde ein kalter, klarer, architektonischer Sound unter Verzicht auf die instrumentellen Hierarchien des Rock. „Gang of Four“ glaubten an das Kollektiv; das Individuum war ihnen nicht geheuer. In ihren Songtexten kritisierten sie den alles und jeden verdinglichenden Kapitalismus, bissig und pointiert. Damit nicht genug, beeinflussten sie mit ihrem schneidenden Funk-Punk zahllose Bands – etwa „Franz Ferdinand“, „The Rapture“ und „LCD Soundsystem“. Was für ein Erbe!

Wie geht man damit um, wenn „dein“ durchdachter Ursound gut dreißig Jahre später der ins nostalgisch Ornamentale gewendete Soundtrack der Gegenwart ist? Ein Soundgespenst ohne Geschichte? Was macht man da? Wo knüpft man an? Wo trennt man ab? Zumal als Band, die heute in einer Welt lebt, in der sich der Thatcherismus der Vergangenheit transformiert hat in einen nicht minder kritikwürdigen globalen Neoliberalismus? Sänger Jon King und Gitarrist Andy Gill, die zwei übrig gebliebenen der Viererbande, haben gewiss eine Weile nachgedacht.

Und fragen sich auf „Content“ zeitdiagnostisch treffsicher wie immer: „Who am I, when everything is me?“ (Wer bin ich, wenn ohnehin alles Ich ist?) Tatsächlich ist das Ich ein bemerkenswert überforderter Kandidat: Gehetzt durch eine Vielzahl Fabriken der Identitäten, aufgeblasen durch Diskurse der Selbst(er)findung, von der Neuroforschung jüngst verteilt auf mehrere Regionen des Gehirns, bin ausschließlich „ich“ es, der für alles, was in meinem Leben geschieht oder eben nicht geschieht, die Verantwortung tragen soll. Da kann man schon mal eine Platte drüber machen! Und sich fragen, wo denn eigentlich das private Ich geblieben ist.

Und die Musik? Vorhersehbar war ja, dass sich Gill und King gesangstechnisch duellieren, ins Wort fallen würden. Neu ist, dass dabei mehrere Erzählfiguren im Spiel sind. Dass allerdings Gitarre, Bass und Schlagzeug derart maskulin aufgestellt sein würden … Was soll man bitte dazu sagen? Rockistisch wollten „Gang of Four“ nie sein – nun sind sie es. Chapeau! Mitunter erinnert Gills Gitarrenspiel sogar an das von Keith Richards. Da lacht der Stones-Fan.

■ So, 27. 3., 20 Uhr, Docks, Spielbudenplatz 19