Dienstleistung jetzt ohne Demo

Das EU-Parlament hat gestern die umstrittene Dienstleistungsrichtline verabschiedet. Proteste blieben aus. Doch viele Kompromisse haben das Werk kompliziert gemacht

BRÜSSEL taz ■ Kein einziger Demonstrant ließ sich blicken, als gestern in Straßburg die Dienstleistungsrichtlinie vom EU-Parlament beschlossen wurde. Denn der Konflikt, der zornige Gewerkschafter und empörte Globalisierungsgegner auf die Straße trieb, hat sich erledigt.

Nur wenig ist vom neoliberalen Grundgedanken geblieben, einen Binnenmarkt für Dienstleistungen zu schaffen, in dem jeder entsprechend der Gesetze seines Herkunftslandes seine Dienste anbieten kann. Statt den Vorschlag, der bei den Bürgern nicht durchsetzbar war, zurückzuziehen, hat sich die EU-Kommission soziale Schutzklauseln abhandeln lassen, die ins Gesetz eingearbeitet wurden. Dabei sind so viele schwammige Formulierungen herausgekommen, dass juristische Gutachter und Advokaten eine Menge zu tun bekommen werden. Kaum ein Gesetz wäre also so gut geeignet als Flaggschiff für Günter Verheugens Kampagne gegen sinnlose Gesetze und bürokratische Lasten wie die nun beschlossene Form der Dienstleistungsrichtlinie.

Als der Industriekommissar am Dienstag Zwischenbilanz zog, wie weit er bei seinem Lieblingsprojekt Bürokratieabbau vorangekommen ist, musste er sich mit folgender Rechnung konfrontieren lassen: Mit 1,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) veranschlagen Ökonomen den Wachstumsimpuls, der sich aus europäischer Binnenmarktgesetzgebung herleitet. Die Kommission will 1,5 Prozent BIP dadurch erwirtschaften, dass sie bis 2012 die bürokratischen Lasten aus EU-Gesetzgebung und nationalen Vorschriften um ein Viertel senkt.

Mit anderen Worten: Wenn die EU-Kommission Gesetze abschafft, entsteht fast so viel Wachstum als wenn sie Gesetze produziert. Diese Erkenntnis erinnert fatal an einen Satz aus Günter Verheugens berühmtem Interview vom Oktober, mit dem er die ganze Brüsseler Beamtenschaft gegen sich aufbrachte: „Wir verbringen einen Großteil unserer Zeit damit, Probleme zu lösen, die es nicht gäbe, wenn es uns nicht gäbe.“

Der Industriekommissar will diesen Satz heute nicht mehr so stehenlassen. In seiner Initiative gehe es nicht in erster Linie darum, Gesetze abzuschaffen, sondern sie zu verbessern.

Ändern wird sich ohnehin nur etwas, wenn die Mitgliedsstaaten und das Europaparlament mitziehen. Ein großer Teil der Vorschriften, die den Unternehmen das Leben schwer machen, wird nicht in Brüssel, sondern in den Hauptstädten produziert.

DANIELA WEINGÄRTNER